Bundestagsabgeordnete mehrerer Parteien und Menschenrechtsaktivisten haben vor dem EU-Gipfel ein deutliches Zeichen aus Brüssel und Berlin angesichts der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei gefordert. Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolge eine "Politik von Lüge, Drohung, Einschüchterung und Knast", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand auf einer Veranstaltung des Kulturforums Türkei Deutschland am Dienstag in Berlin.
Es gebe deshalb die Erwartungshaltung an die Bundesregierung und die EU, ein "klares Signal zu setzen, dass Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz nicht verhandelbar sind", erklärte Brand.
Die Redner der Veranstaltung kritisierten die Lage der Menschenrechte in der Türkei scharf. Sie verurteilten die Inhaftierung von Oppositionellen und Journalisten und das eingeleitete Verbotsverfahren gegen die zweitgrößte Oppositionspartei HDP. Auch den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen bezeichneten sie als Rückschlag für die Menschenrechte im Land. Die Staats- und Regierungschefs der EU diskutieren ab Donnerstag über die künftigen Beziehungen zur Türkei.
Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir forderte, die Bundesregierung dürfe in ihrem "Diplomatenkoffer künftig nicht mehr nur Wattebäuschchen" haben, sondern müsse gezielte Wirtschaftssanktionen gegen Funktionäre der türkischen Regierungsparteien verhängen. Er sprach sich zudem für ein Ausschlussverfahren gegen die Türkei aus dem Europarat aus.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe hält ein solches Verfahren hingegen derzeit für falsch. "Ich hoffe, dass der Europarat wirken kann in der Türkei." Falls sich Ankara jedoch weiterhin nicht an die Regularien des Europarats, insbesondere an die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, halte, könne sie nicht mehr Mitglied bleiben.
Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion, sieht die Türkei auf einem "Kurs in Richtung islamistischen Unterdrückungsstaat". Sie forderte einen sofortigen Stopp der Waffenexporte in die Türkei, ein Ende der privilegierten Partnerschaft und eine Aussetzung der Zollunion.
Der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Can Dündar warf den EU-Staats- und Regierungschefs vor, "Doppelstandards" gegenüber der Türkei anzulegen. Sie seien "dankbar" für die Zusammenarbeit mit Ankara in der Flüchtlingspolitik und deshalb bereit, ihre Prinzipien zu opfern.
Der Menschenrechtsaktivist Peter Steudtner sprach sich gegen jede Kooperation mit der Türkei - auch in der Flüchtlingspolitik - aus, solange dort Menschenrechte verletzt würden. Der Aktivist war 2017 in der Türkei wegen Terrorismus-Vorwürfen festgenommen, später aber freigesprochen worden.
Der ehemalige HDP-Abgeordnete Ziya Pir kritisierte insbesondere die Reaktion von Außenminister Heiko Maas (SPD) auf Erdogans Politik. Seine Äußerungen seien "eine Schande für die deutsche Sozialdemokratie", da sie stets einen Nebensatz enthielten, "der von der Türkei hätte geschrieben werden können".
An der Veranstaltung nahmen unter anderem auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, Markus Beeko von Amnesty International, Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen, Astrid Vehstedt vom PEN-Zentrum Deutschland teil.
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