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Rede von Außenminister Heiko Maas vor dem Deutschen Bundestag

Heiko Maas zur Verlängerung der deutschen Beteiligung an der EU-geführten Operation EUNAVFOR MED IRINI

Ein Jahr nach Beginn der Pandemie steht heute kaum ein Staat besser da als vor Ausbruch des Virus. Zu den glücklichen Ausnahmen gehört ein Land, von dem man das wohl am wenigstens erwartet hat, nämlich Libyen. Vor einem Jahr brannte der libysche Bürgerkrieg noch lichterloh. Viele sahen keine Hoffnung mehr für Frieden und natürlich auch den Berliner Prozess schon am Ende.


Doch bei aller gebotenen Vorsicht: Libyen hat zuletzt ganz beeindruckende Schritte in Richtung Frieden gemacht. Im Oktober des letzten Jahres einigten sich die Konfliktparteien auf einen Waffenstillstand und begannen mit vertrauensbildenden Maßnahmen, und wenig später endete auch die Ölblockade. Zum Jahresende vereinbarten die Parteien einen Fahrplan für einen politischen Übergang einschließlich freier Wahlen, die in diesem Jahr im Dezember stattfinden sollen. Vor zwei Wochen hat das libysche Repräsentantenhaus die neue Übergangs-Einheitsregierung bestätigt, die bereits ihre Arbeit aufgenommen hat.


All das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das Ergebnis von harten Kompromissen, aber auch von noch hartnäckigerer Diplomatie, und zwar der der Vereinten Nationen, Europas und nicht zuletzt auch Deutschlands. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Ausgangspunkt und der Bezugspunkt aller diplomatischen Fortschritte, inklusive aller Rückschläge, die es auch gegeben hat, sind und bleiben die Berliner Libyen-Konferenz von Anfang 2020. Hier in Berlin haben sich alle in Libyen Einfluss nehmenden Staaten erstmals verpflichtet, die innerlibysche Versöhnung zu unterstützen und das Waffenembargo der Vereinten Nationen zu respektieren. Genau darauf basieren auch die jüngsten Fortschritte.


Gleichzeitig ist klar, dass der Weg zu dauerhaftem Frieden und der Wiedervereinigung Libyens noch sehr weit sein wird.


Die wichtigste Aufgabe der neuen Übergangsregierung ist es, gesamtlibysche Wahlen im Dezember wie vereinbart zu organisieren. Die Bevölkerung erwartet zudem sehr schnell eine bessere Grundversorgung, weniger Korruption und mehr Rechtsstaatlichkeit. Dem neuen Premierminister Dbeiba habe ich bereits versichert, dass Deutschland und die Europäische Union ihn bei diesen Herkulesaufgaben unterstützen werden. Ich bin in der Europäischen Union nicht der Einzige gewesen, der das getan hat, und für die Vereinten Nationen gilt das selbstredend ebenfalls.


Für wirkliche Versöhnung in Libyen ist es außerdem essenziell, dass nun alle ausländischen Kämpfer wie vereinbart das Land verlassen. Das machen auch wir - nicht nur wir, aber ganz besonders wir - gegenüber der Türkei, Russland und anderen sehr deutlich, die direkt oder über Söldner eine der beiden Parteien in der letzten Zeit unterstützt haben. Dabei wissen wir alle - da gibt es nichts schönzureden -: Waffen, Kriegsmaterial und auch Kämpfer gelangen nach wie vor weiter nach Libyen. Auch da hat es zuletzt Fortschritte gegeben; aber auch diese sind beileibe noch nicht da, wo wir sie sehen wollen, nach all dem, was wir auf der Konferenz in Berlin verabredet haben.


Dafür, dass es Fortschritte gegeben hat, ist aber nicht allein der verstärkte diplomatische oder politische Druck von Einzelnen oder der internationalen Staatengemeinschaft verantwortlich. Vielmehr hat auch die Operation Irini der Europäischen Union dazu ihren Beitrag geleistet.


Denn dank Irini müssen Waffenschmuggler überhaupt erst fürchten, bei ihren illegalen Machenschaften entdeckt zu werden: Die Schiffe und Flugzeuge der Mission haben im vergangenen Jahr in über 2 300 Fällen die Angaben von Schiffen abgefragt und sind auch in knapp 100 Fällen mit Einverständnis des jeweiligen Kapitäns an Bord gegangen, um Überprüfungen durchzuführen. Auch an Land behielt die Operation verdächtige Aktivitäten im Blick, zum Beispiel durch die Beobachtung von 25 Flughäfen und der entsprechenden Flugbewegungen.


Solche Aktionen, meine sehr verehrten Damen und Herren, verunsichern die Waffenschieber und stellen ihre staatlichen Auftraggeber bloß. Deshalb hat auch die frühere Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen, Stephanie Williams, Irini als eine wichtige Stütze des Waffenembargos bezeichnet.


Aber auch über Irini hinaus stehen wir in Libyen denjenigen bei, die unsere Hilfe dringend brauchen: den Zehntausenden Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten genauso wie der libyschen Zivilbevölkerung. Über das UN-Flüchtlingskommissariat hat Deutschland in den vergangenen Jahren mehr als 45 Millionen Euro zum Schutz von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Mit diesen Mitteln konnten die Vereinten Nationen seit Ende 2017 über 5 500 besonders schutzbedürftige Menschen aus Libyen evakuieren. Über den Nothilfefonds für Afrika der Europäischen Union unterstützt Deutschland die Internationale Organisation für Migration mit 121 Millionen Euro. Diese Hilfen fließen in die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr von Migranten und in Schutzmaßnahmen in Libyen selbst. Im Kampf gegen die Pandemie hat die Bundesregierung das libysche Gesundheitssystem im letzten Jahr mit zusätzlichen fast 10 Millionen Euro unterstützt. Bis Ende Mai erhält das Land 300 000 Dosen Impfstoff über Covax.


Meine Damen und Herren, das Beispiel Libyen zeigt: Diplomatie ist manchmal mühsam, verbunden mit vielen Rückschlägen, aber sie kann auch funktionieren. Auf den Erfolgen des Berliner Prozesses werden wir in den kommenden Monaten weiter aufbauen. Die Operation Irini ist dabei ein wichtiger Bestandteil.


Aber die Operation Irini sendet auch ein Signal europäischer Geschlossenheit. Sie steht für ein souveränes Europa, das einen Beitrag leistet für mehr Frieden und Stabilität in unserer Nachbarschaft. Und sie kann helfen, dass wir auch nächstes Jahr auf ein Libyen zurückblicken, das besser dasteht als zwölf Monate zuvor. Deshalb bitte ich Sie um die Unterstützung unseres Antrages.


Herzlichen Dank.

Heiko Mass vom 25.03.2021

Foto: Susie Knoll / SPD Saar