Online-Dating erlebt in Zeiten der globalen Pandemie einen
regelrechten Boom. Ende März 2020 meldete Tinder einen Swipe-Rekord: drei Milliarden
Swipes am Tag.
Und die Gründe dafür sind eindeutig: Corona schränkt uns alle ein und Singles
haben keine Möglichkeit, neue Leute kennenzulernen. Die Einsamkeit wächst.
Im Sommer 2020 entschied auch ich mich, die App zu
installieren. Und das war keineswegs eine fixe Idee. Hinter mir lag eine
gescheiterte Beziehung, ich hatte oft überlegt, ob das wirklich der richtige
Schritt sein würde. Ob ich es nicht überstürzte.
Ich sprach mit Freunden darüber: jenen, die Tinder hatten und auch jenen, die
es nicht hatten. Und im Endeffekt kristallisierte sich immer ein grundlegender
Gedanke heraus: Was hast du denn zu verlieren?
Und dieser Gedanke war berechtigt. Die Plattform ermöglicht es, sich selbst als
Person darzustellen, aber ließ sich auch jederzeit wieder löschen. Es war
unverbindlich, ich ging keine Verpflichtungen ein.
Also installierte ich die App und fuchste mich in die Welt des Tinderns ein.
Ich erstellte mein Profil, versuchte meine Bilder so authentisch wie möglich zu
halten und schrieb einen Spruch in meine Bio. Dabei merkte ich schnell:
wirklich schwer war das Ganze nicht. Ich hatte mir umsonst zu viele Gedanken
gemacht.
Und nachdem ich dann an das tatsächliche Swipen ging, ließen die ersten Matches
nicht lange auf sich warten.
An dieser Stelle bin ich sehr dankbar dafür, dass ich nur jene angezeigt bekam,
die mir auch irgendwie gefallen hatten. Und dass es eine Funktion zum
entmatchen gibt. Wie viele Male hatte ich aus Versehen nach rechts geswiped?
Ich könnte es nicht einmal zählen! Der Glanz des Anfangs überkam mich: ich
schrieb mit interessanten Männern, die ihrerseits viel zu erzählen hatten. Ich
traf mich, ich unterhielt mich und ich genoss die Zeit. Im Sommer war es ein
Leichtes, sich in einem Restaurant zu verabreden oder einen Kaffee trinken zu
gehen.
Manche Männer datete ich über Monate. Anderen wiederum konnte ich direkt beim
ersten Date sagen, dass es das wohl nicht sein wird. Die Leichtigkeit, die die
App dem Dating-Leben bietet, war ein Geschenk. Niemand musste sich schämen.
Manche möchten eben nur eine schnelle Affäre, andere daten ernsthafter, wollen
sogar eine Beziehung.
In dieser Zeit konnte ich mich schwer einordnen. Ich habe
nach nichts gesucht, aber viel gefunden. Und wie mit allen schönen Dingen im
Leben ging auch diese Leichtigkeit irgendwann zu Ende. Die Blätter fielen und
der Winter brach in Deutschland ein.
Entspannte Treffen draußen am Kanal oder Restaurants waren nicht mehr möglich:
Spazieren gehen wurde das neue Dating. Und in dieser Zeit merkte ich, dass es
mit niemandem so richtig klappen wollte: schon beim ersten Date funkte es
einfach nicht. Selten sollte ein zweites Date zustande kommen.
Und hier ist das Problem: wenn es mit einem nicht geklappt hatte, war es zu
leicht, einfach das nächste Match an Land zu ziehen. Die Personen, mit denen
ich mich traf, wurden potenziell ersetzbarer. Und dementsprechend widmete ich
mich dem Date auch nicht mehr vollständig. Es warteten ja mehr Dates mit
anderen Männern, die noch kommen würden. Nichts war besonders.
Und das war der Wendepunkt. Der Punkt, an dem ich merkte,
dass diese App auf mich einen schlechten Einfluss ausübt. Ich ließ mich
hinreißen, ersetzte die Dates nur noch miteinander.
Als würde ich die Nadel im Heuhaufen finden wollen: aber war das überhaupt meine
Absicht? Eine Beziehung? Eine kurze Affäre? Ablenkung von dem Alltagsstress?
Ich konnte es selbst nicht mehr genau ausmachen. Und es nagte an mir, dass ich
selbst eigentlich nicht mehr wusste, was ich wollte. Zumal ich das „Alleine sein“
für mich auch verlernt hatte. Immer musste etwas los sein, ich musste mich
beschäftigen, weil ich mit der „Leere“ in mir nicht mehr klargekommen bin. Und
eigentlich auch nicht klarkommen wollte.
Nachdem ich wochenlang zwanghaft versucht hatte, irgendwie
meine Tage zu füllen, immer auf Achse zu sein und enttäuscht darüber war, dass
mir die Dates eigentlich nicht mehr gefallen hatten, fühlte ich mich ausgelaugt.
Immer mehr drängte sich mir die Frage auf, ob ich nur noch die falschen Leute
kennenlernen würde, die eigentlich gar nichts mehr mit mir gleich hatten. Ich
gab dem Algorithmus die Schuld, dass er mir keine „guten“ Profile anzeigte.
Bis ich realisierte, dass es an mir lag. Ich war das Problem. Ich habe mich auf
den Gedanken versteift, irgendetwas zu finden, was mich von mir selbst ablenkt.
In Zeiten einer globalen Pandemie sind wir mit der Einsamkeit konfrontiert,
egal ob in einer Beziehung oder eben als Single. Und sich damit auseinander zu
setzen, damit wirklich klarzukommen, ist eine Herausforderung, der wir uns
stellen müssen.
Mit Tinder wollte ich der Herausforderung aus dem Weg gehen. Und habe mich
selbst dabei überfordert.
Darum habe ich Tinder endlich gelöscht. Und ich sage nicht, dass es für immer so
sein wird. Aber wenn es so weit ist, möchte ich bereit sein. Ich möchte die
Zeit genießen und nicht von Date zu Date hetzen. Ich möchte die Menschen als
besonders ansehen und nicht als ersetzbar.
Tinder kann Leichtigkeit bieten, kann dich mit interessanten Menschen
verbinden. Und sollte wertgeschätzt werden.