„Viele informieren sich in YouTube-Videos. Diese erzeugen den Eindruck, dass Handwerken ohne Vorwissen für jeden machbar ist, doch die Umsetzung endet oft mit Verletzungen. Wir sehen jetzt etwa ein Drittel mehr Handwerkerverletzungen in der Notaufnahme“, sagt Prof. Dr. Michael J. Raschke, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) und Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie am UKM (Universitätsklinikum Münster).
Hunderttausende Menschen arbeiten derzeit im Homeoffice. Manche können ihr Geschäft nicht öffnen, andere sind in Kurzarbeit oder verbringen ihren Urlaub zu Hause. Die Idee, die eigenen vier Wände wohnlicher zu gestalten, liegt also nahe. Ob nun Bodenbeläge austauschen, ein Regal bauen oder Wände farbig streichen – häufig fallen die Entscheidungen für Umbauarbeiten spontan. Und oft handelt es sich um Arbeiten, die man sonst nur selten tut. Dementsprechend gering sind die vorhandenen Erfahrungen und Handlungsroutinen bei der Ausführung.
Konkrete Hilfe und praktische Tipps versprechen Ratgeber-Videos auf einschlägigen Social-Media-Plattformen. Dort zeigen andere, wie man einen Raum streicht, eine Lampe repariert oder auch ein Möbelstück selbst baut. Das sieht oft einfach aus, aber manche Tätigkeiten entpuppen sich als schwieriger als gedacht. „Wer keine Erfahrung mitbringt, sollte besonders bedacht vorgehen. Denn sonst können Schnitt- und Stichwunden, Quetschungen und Brüche, aber auch abgetrennte Finger und Fingerkuppen die Folge sein“, sagt Prof. Dr. Dietmar Pennig, DGU-Generalsekretär und Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Handchirurgie und Orthopädie am St. Vinzenz-Hospital der Universität Köln.
Denn zu selten denken Hobbyhandwerker an Arbeitsschutz und sicheres Werkzeug. Statt einer Leiter benutzen sie einen wackligen Hocker. Regelmäßig wird auch mit schwerem Gerät gewerkelt, ohne über die nötige Erfahrung zu verfügen. Zum Einsatz kommen Kreissäge, Flex, Hobelmaschinen oder sogar Motorsägen. Die Folgen des Handwerkens durch Ungeübte sind durchaus gravierend.
„Wir appellieren deshalb dringend an alle Hobby-Handwerker, geeignetes Werkzeug zu verwenden und passende Schutzkleidung zu tragen“, sagt Dr. Thomas Brockamp, Präventionsexperte der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie (DGH). „Falls es jedoch zu einem Unfall kommt, sollte man einen Verbandkasten in der Nähe haben und wissen, was nach einem Unfall als Erstes zu tun ist.“
5 Ersthilfe-Tipps von Unfallchirurgen:
Bei Quetschungen:
PECH-Regel anwenden – Pause, Eis, Kompression (compression), ggf.
hochlegen. Sollten die Beschwerden am Folgetag nicht wesentlich
rückläufig sein, so empfiehlt es sich, einen Arzt aufzusuchen, um
strukturelle Verletzungen abklären zu lassen.
Beim Schnitt mit einem Cuttermesser: Blutung mit einem sauberen Tuch stoppen und die Wunde beobachten. Kribbelt der Finger oder ist er taub, könnte ein Nerv verletzt sein. Auch hier gilt, dass im Zweifel ein Arzt kontaktiert werden sollte.
Beim Schlag mit dem Hammer auf Finger oder Daumen: Wenn es keine offene Wunde ist, dann mit einem feuchten Tuch kühlen. Wenn der Schmerz oder die Schwellung nicht nachlässt, sollte auch hier eine Abklärung erfolgen, um ggf. Brüche auszuschließen. Auch ein Bluterguss unter dem Nagel sollte abgeklärt werden, er kann auf einen Bruch des Fingerendgliedes hindeuten.
Bei einem abgeschnittenen Finger:
Falls mit der Kreissäge ein Finger abgetrennt wurde, ist schnelles
Handeln erforderlich. Die Blutung am Stumpf muss mit einem Druckverband
gestoppt werden. Das Fingerglied muss trocken in eine Plastiktüte. Diese
Tüte wird in eine weitere Plastiktüte gesteckt, die mit etwas Wasser
und wenig Eis gefüllt ist. Das Fingerglied darf keinesfalls direkt mit
Eis in Berührung kommen, sonst kann es zu thermischen Schädigungen am
Gewebe kommen.
Beim Sturz auf den Rücken: Bei starken Schmerzen oder Bewusstlosigkeit sollte umgehend ein Rettungswagen gerufen werden, da es sich um eine Wirbelsäulenverletzung oder schwerere Kopfverletzung handeln kann.
Als besonders tückisch erweisen sich manchmal kleine Verletzungen, beispielsweise am Handteller oder am Fuß. Denn Keime können bei einem Stich oder Schnitt tief in die Wunde eindringen. Da sich die obere Hautschicht sofort wieder schließt, ist zwar äußerlich von der Wunde kaum noch etwas zu erkennen, aber in den unteren Gewebeschichten kann sich eine Infektion entwickeln und Knochen und Gewebe schädigen. Was anfangs harmlos erscheint, kann schnell problematisch werden und in einem Klinikaufenthalt enden. Es ist deshalb ratsam, bei länger anhaltender Rötung, pochenden pulssynchronen Schmerzen oder
Entzündungszeichen unbedingt den Facharzt aufzusuchen – auch in Corona-Zeiten.
Besser, als eine Verletzung zu riskieren, ist es jedoch, handwerkliche
Tätigkeiten gut vorzubereiten und diese nicht zu unterschätzen. Alle
Arbeitsgeräte müssen sich für die geplante Tätigkeit eignen und gut
gewartet sein. Wohnaccessoires sollten nicht zweckentfremdet und
behelfsmäßig eingesetzt werden. Denn viele Verletzungen lassen sich bei
ausreichendem Arbeitsschutz vermeiden.
5 häusliche Tipps für Hobbyhandwerker:
Festes Schuhwerk tragen: nicht in Hausschuhen oder Flipflops auf die Leiter steigen
Sicher stehen: keine wackligen Leitern benutzen und nicht auf Tische, Stühle oder Hocker steigen, um an höhergelegene Stellen zu kommen
Nicht ablenken lassen: konzentriert arbeiten mit Bohrmaschine, Flex und Co
Keine Mutprobe:
eigene Fähigkeiten einschätzen, besonders wenn beim Handwerken keine
Vorerfahrung vorhanden ist; bei Zweifel besser einen Handwerker
hinzuziehen, beispielsweise bei Elektroarbeiten
Vorsicht bei Ratgeber-Videos: Nicht immer liefern Amateur-Videos die richtigen Sicherheits-Informationen und vieles sieht einfacher aus, als es ist.
UKM / DGU/Münster/Berlin
Foto: Symbolbild, pixabay / Steve Buissinne