Die Corona-Pandemie ist ein Stresstest für jeden Einzelnen und unsere
Gesellschaft und die Debatten um die Corona-Politik polarisieren
– mit der Konsequenz, dass viele Diskussionen um Lösungen und
Perspektiven mitunter hitzig verlaufen. In ihrem "Manifest der offenen Gesellschaft" plädieren die Wissenschaftler für engagierte und offene
Debatten mit konstruktiven Fragen und sachlichen Argumenten. Das
Manifest ist jüngst in den Zeitungen "Die Welt" und "Der Freitag"
erschienen, darin schlossen sich zahlreiche Unterstützerinnen und
Unterstützer aus Wissenschaft und Kultur mit Kommentaren an. Im
Interview mit Norbert Robers spricht Jürgen Overhoff unter
anderem über Ziele des Manifests, eine neue Form der Polarisierung und
das schwindende Vertrauen der Menschen in die Kraft der Demokratie.
Ist Corona tatsächlich "ein Stresstest für den offenen Diskurs",
oder täuscht nicht dieser Eindruck? Schließlich gab und gibt es zig
Parlamentsdebatten, Podiumsdiskussionen, Sondersendungen im Fernsehen
und Hörfunk und vieles mehr, bei denen die Diskutanten sehr konzentriert
und abgewogen diskutieren ...
In den Medien wird ausführlich debattiert, aber es herrscht in den
Redaktionen ein großer Konformitätsdruck. Man wollte die Regierung über
lange Monate hinweg lieber in ihrem Kurs stützen, statt sie, wo es nötig
gewesen wäre, gezielt zu kritisieren. Auch die Parlamente haben sich
viel zu sehr zurückgehalten, sie hatten sich als Akteure zeitweise
geradezu aus dem Spiel genommen. Vielleicht ändert sich das gerade,
unser Manifest will dazu jedenfalls beitragen.
Ist es mit Blick auf den Stress nicht verständlich, dass es
Lagerbildungen gibt und dass mitunter zugespitzt miteinander gerungen
wird?
Es muss verschiedene politische Lager geben, Zuspitzungen der Argumente
sind durchaus gewünscht. Aber leider erleben wir in der Pandemie eine
neue Form der Polarisierung: Das Schwarz-weiß-Denken hat zugenommen, man
hört sich nicht mehr gut genug zu. Wir müssen uns wieder stärker auf
die gemeinsamen Grundrechte besinnen, die das Grundgesetz präzise
definiert.
Sie wenden sich auch gegen Verschwörungsmystiker und
Demokratiefeinde: Glauben Sie ernsthaft, dass Sie diese Personengruppen
wieder zu einer sachlichen Diskussion bewegen können?
Erstens darf man niemals im Versuch nachlassen, jene Menschen, die
derzeit den Extremisten nachlaufen, wieder in das demokratische Spektrum
zurückzuholen. Zweitens wollen wir nicht noch mehr Unzufriedene
verlieren. Das ist aller Mühe wert. Ich glaube zudem, dass wir durchaus
Erfolge erzielen können, wenn wir den Debattenraum wieder weiten.
Zeigt die aktuelle Lage nicht vielmehr, wie viel Streit und Uneinigkeit unsere Demokratie aushält – eben weil sie so stark ist?
Die aktuelle Lage zeigt, dass das Vertrauen in die Kraft der Demokratie leider bei vielen Bürgerinnen und Bürgern schwindet, auch weil der konstruktive Schlagabtausch zu selten in den Parlamenten seinen Ort hat. Wir brauchen eine Rhetorik, die Mut macht, und keine Reden, die noch mehr Angst verbreiten. Auch Streit sollte im Gestus der Zuversicht geführt werden.
WWU Münster (upm/hd)
Foto: pict rider – stock.adobe.com. Die Corona-Pandemie ist ein Stresstest für unsere Gesellschaft. Die Debatten um die Corona-Politik polarisieren, viele Diskussionen verlaufen immer hitziger.