Mit einem belastenden Kapitel aus der Geschichte ihrer Vorgängerinstitution beschäftigt sich die Katholisch-Theologische Fakultät an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster. Im Mittelpunkt steht dabei eine antisemitische Hetzschrift von 1871 mit dem Titel „Der Talmudjude“. Ihr Verfasser, der münstersche Priester und katholische Alttestamentler August Rohling (1839-1931), war zu diesem Zeitpunkt als außerordentlicher Professor an die damalige Königliche Akademie in Münster berufen worden. Im aktuellen Jubiläumsjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ startet der Fachbereich eine breit angelegte wissenschaftliche Beschäftigung mit seinem ehemaligen Professor. Eine sechsköpfige Arbeitsgruppe wird die Initiative koordinieren. Die Öffentlichkeit soll in diesen Prozess einbezogen werden.
August Rohlings „Talmudjude“ stellt über weite Strecken ein Plagiat älterer antijüdischer Texte dar. Der Verfasser stilisiert sich als Kenner des Talmuds, eines der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums, war aber nachweislich nicht in der Lage darin zu lesen. August Rohlings Veröffentlichung entfaltete nach Angaben der Arbeitsgruppe eine „verheerende Wirkungsgeschichte“. Sie trug zu Verschwörungsmythen wie etwa der von einer vermeintlichen Weltherrschaft des Judentums bei. Der „Talmudjude“ avancierte zu einem unrühmlichen „Bestseller“. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wurde die Schrift in hoher Auflage gedruckt und in unzählige Sprachen übersetzt. Insbesondere in katholischen Kreisen fand sie eine weite Verbreitung und hatte sogar Auswirkungen auf die antisemitische Ideologie der Nationalsozialisten sowie die Schoah.
Bild: Der münstersche Priester und Alttestamentler August Rohling (1839-1931) hat als Professor der damaligen Königlichen Akademie in Münster eine katholische antisemitische Hetzschrift mit dem Titel „Der Talmudjude“ verfasst. Copyright: WWU - Bistumsarchiv Münster
Westfälischer Wilhelms Universität Münster (WWU) vom 01.04.2021