Münster (lwl). Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) zeigt in seinem LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster im April ein Ölgemälde des Künstlers Hans Brass (1885-1959) als Kunstwerk des Monats: "Brücke" von 1920 ist ein Hauptwerk, das erst kürzlich im Zuge der Erforschung seiner Provenienz, also der Herkunft, erstmals näher untersucht und in den Kontext von Brass' Gesamtwerk eingebettet werden konnte.
Die Darstellung des Bildes scheint sich auf den ersten Blick aus einer Vielzahl spannungsvoll angeordneter geometrischer Formen aufzubauen. Es dominieren die Farben Rot, Gelb und Grün sowie spitz zulaufende Gebilde. Wirkungsvoll setzte Brass dunkle Schattierungen und helle Akzente, die den kristallartigen Körpern Raumwirkung geben. Nach dem Prinzip der geometrischen Vereinfachung entwächst der dynamischen Szene eine Stadt in leuchtenden Farben. Motivisch griff der Maler für das Gemälde die Lessingbrücke in Berlin-Moabit auf: 1919 hatte er eine Studie dieses 1903 entstandenen Bauwerks angefertigt.
Wie es für viele seiner Zeitgenossen zutrifft, spiegelt sich auch im Leben und Werk des Malers Hans Brass Deutschlands bewegte Geschichte des 20. Jahrhunderts. Der 1885 in Wesel geborene Künstler erlebte die in kurzer Zeit aufeinanderfolgenden Umwälzungen in Berlin und in Ahrenshoop: die Unruhen der Weimarer Republik, die Machtzunahme und Herrschaft der Nationalsozialisten sowie nach den Kriegsjahren das Spannungsfeld zwischen freier Kunst und den Auflagen der DDR-Regierung.
Nach dem Studium an der Kunstgewerbeschule Magdeburg und am Münchener Lehr- und Versuchs-Atelier für angewandte und freie Kunst, die er jeweils aufgrund von Differenzen mit der Ausrichtung und Lehre ohne Abschluss abbrach, entwickelte sich Brass neben dem Broterwerb als Anstreicher und Grafiker in Berlin durch ein Selbststudium weiter. Der ausgebildete Soldat war von 1914 bis 1918 im Ersten Weltkrieg, die damit verbundenen Erlebnisse bedeuteten für Brass' Schaffen einen Bruch mit seinen bisherigen, eher traditionelleren Bildvorstellungen. Er wandte sich dem Expressionismus zu und engagierte sich in Berliner Künstlergruppen wie dem "Sturm" und der "Novembergruppe", wo er unter dem Einfluss kubistischer und futuristischer Tendenzen zu einem vielversprechenden Talent der Szene aufstieg. Doch der tiefsinnige, ruhige Künstler stand dem plötzlichen Erfolg mit Ausstellungen zu Beginn der 1920er Jahre skeptisch gegenüber und flüchtete in das Ostseebad Ahrenshoop. Als Amtsvorsteher und später als Bürgermeister der Gemeinde trat er für die Entwicklung des Ortes ein, sein künstlerisches Schaffen trat in den Hintergrund und kam nahezu zum Erliegen.
Nach dem Versuch, erneut in Berlin künstlerisch Fuß zu fassen, trat der entschiedene Gegner der Nationalsozialisten 1935 freiwillig aus der Reichskulturkammer aus. Faktisch bedeutete dies ein Berufsverbot, und so musste er zeitweise von Sozialhilfe und ohne eigene Wohnung leben. Sein Werk brandmarkten die Nationalsozialisten als "entartet". In der Nachkriegszeit erlangte er aufgrund von kulturpolitischen Konflikten kaum mehr öffentliche Wahrnehmung: Der Kulturbetrieb der DDR beäugte die abstrakte Arbeitsweise des nach Ost-Berlin zurückgekehrten Malers kritisch und zählte ihn zu den auszugrenzenden Formalisten, deren Werken "Wirklichkeitsfälschung" vorgeworfen wurde. Eline van Dijk, Referentin für Provenienzforschung des Museums: "Brass geriet ungerechtfertigt in Vergessenheit, obwohl er im fortschrittlichen Berlin der 1920er Jahre beträchtliche Bekanntheit erlangt hatte."
Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) vom 01.04.2021