Angesichts der Debatte über einen verschärften Corona-Lockdown haben Vertreter der betroffenen Wirtschaftsbranchen mehr Unterstützung vom Staat gefordert. Beim Wirtschaftsgipfel mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verlangten etwa Handel und Reisewirtschaft, Höchstsummen für Nothilfen abzuschaffen, die Überbrückungshilfen zu verlängern, ebenso die Kurzarbeiter-Regelung und die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Altmaier sprach von einem "konstruktiven Austausch". Zu einer Corona-Testpflicht für Unternehmen äußerte er sich ablehnend.
Altmaier beriet am Vormittag und in einer zweiten Runde am frühen Nachmittag erneut mit Vertretern von mehr als 40 Verbänden über die Corona-Krise. Das virtuelle Treffen war laut Ministerium das fünfte seit Beginn der Corona-Krise in Deutschland. Teilnehmer am Donnerstag waren Spitzenverbände der Wirtschaft, Verbände des Mittelstands, der Familienunternehmen, der Freien Berufe, Gründer und Selbstständige. Vertreten waren zahlreiche Branchen wie Handel, Logistik, Güter, Entsorgung, Dienstleistung, Gastronomie, Hotellerie, Veranstaltung, Tourismus, Reise, Kultur- und Kreativwirtschaft, Textil- und Modewirtschaft.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) verwies bei dem virtuellen Treffen auf die "weiterhin desaströse Lage im zwangsgeschlossenen Einzelhandel und die Dringlichkeit für Anpassungen bei den Corona-Hilfen", wie Hauptgeschäftsführer Stefan Genth erklärte. Regelmäßiger direkter Kontakt zum Wirtschaftsminister sei gut - aber "es müssen auch Taten folgen". Er forderte insbesondere Möglichkeiten zur Auszahlung eines Unternehmerlohnes für inhabergeführte Betriebe.
Der Präsident des Deutschen Reiseverbandes (DRV), Norbert Fiebig, beklagte, noch immer liefen die Auszahlungen der Hilfen in einigen Bundesländern schleppend. Er forderte neben mehr staatlicher Hilfe vor allem eine Perspektive für seine Branche. Reisen sei "sicher möglich, wie der Osterurlaub auf Mallorca gerade wieder gezeigt hat", betonte Fiebig. Mit einer entsprechenden Restart-Strategie könne das Reisen "verantwortungsbewusst wieder hochgefahren werden – die Konzepte liegen seit vielen Wochen auf dem Tisch".
Altmaier machte jedoch klar: "Die aktuelle Corona-Lage ist leider weiterhin ernst und auch die Lage der Wirtschaft insgesamt hängt an der Entwicklung des Infektionsgeschehens." Während die Industrie weiter vergleichsweise gut durch die Krise komme, litten Dienstleistungen und Handel und andere Branchen weiterhin stark unter den Corona-Beschränkungen.
Zu Forderungen nach einer Pflicht für Unternehmen, den Beschäftigten mindestens zweimal die Woche einen Coronatest anzubieten, erklärte der Wirtschaftsminister: Die Unternehmen spielten beim Testen eine wichtige Rolle "und nehmen diese Verantwortung wahr". Die Wirtschaft habe das Testangebot für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den vergangenen Wochen "deutlich ausgebaut", lobte Altmaier. Durch verstärktes Testen könnten Infektionen früher und öfter erkannt und weitere Übertragungen verhindert werden.
Erst am Dienstag hatte die Hans-Böckler-Stiftung eine Umfrage veröffentlicht, wonach der Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zumindest bis Ende März keine hinreichenden Testangebote zur Verfügung standen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) drohte daher mit staatlichen Verordnungen.
Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Katharina Dröge, nannte das Krisenmanagement der Bundesregierung "chaotisch und erratisch". Darüber könne auch "der x-te Gipfel" der Regierung nicht hinwegtäuschen. Ein Ausweg aus der Krise sei nur möglich, "wenn die Bundesregierung das bisherige Impfdesaster in den Griff kriegt und das Tempo deutlich erhöht".
Dröge kritisierte, das Homeoffice-Potenzial sei bei weitem nicht ausgeschöpft, die Aufrufe zum Testen in den Unternehmen seien nicht ausreichend. Altmaier müsse insbesondere kleinen und mittleren Betrieben Unterstützung für die Teststrategie zusichern.
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