Nach dem die Bundesregierung eklatante Versäumnisse im Ablauf des Impfgeschehens - inklusive der EU hinsichtlich der Impfstoffbeschaffung - zugelassen hat, versucht sie jetzt, die Notbremse zu ziehen. Die Inzidenzzahlen laufen uns davon. Zunächst muss gesagt werden: das taktierende Verhalten mancher Ministerpräsidenten, die nach den vergangenen Impfgipfeln im Kanzleramt eiligst wieder die mühsam erstrittene Einigung in Frage stellen, ist unerträglich. Solch ein Verhalten mag auch der Sorge um die Wirtschaft im eigenen Bundesland geschuldet sein, mindestens ebenso viel ist es aber ein Schielen nach den Wählerstimmen. Dies natürlich umso mehr vor einer Bundestagswahl und wenn ein Kanzlerkandidat, Armin Laschet, aus einem großen Bundesland kommt.
Ja - aber
Insofern ein „Ja“ zu einer bundesweiten Coronaregelung und einer Änderung des
Impfschutzgesetzes. Dieses „Ja“ schränke ich aber sofort wieder ein. Nächtliche
Ausgangssperren z.B. sind ein völlig unpassendes Instrument zur Eindämmung der
Pandemie. Zuvorderst sind sie ein auch jetzt nicht gerechtfertigter Eingriff in
die Grund- und Freiheitsrechte. Genügend Studien belegen - und hier hat Christian
Lindner (FDP) Recht - dass Ausgangssperren keine Wirkungen zeigen. Im Gegenteil,
sie treiben die Menschen dazu, nach Auswegen zu suchen. Freunde in Osnabrück,
wo die Ausgangssperren ab 21:00 galten, berichten, dass sie abends zum Wegbringen
ihres Mülls ein Stück über die Straße gehen müssen und Angst haben „aufgegriffen“
zu werden und Strafe zu bezahlen. Was für eine Stilblüte einer „Ausgangssperre“,
davon gibt es sicher hunderte Fälle. Es kristallisiert sich zunehmend heraus,
dass die Ansteckungen im häuslichen Umfeld innen geschehen. Ich selbst weiß in
meinem weiteren Bekannten- und Freundeskreis von Leuten, die sich mit vier, sechs
oder mehr Personen aus verschiedenen Haushalten über Ostern - oder zu anderen
Gelegenheiten - getroffen haben. Ungeimpft und ohne Maske in Wohnungen. Hier
findet Pandemiegeschehen tagsüber statt oder an Großbaustellen in den
Arbeitscontainern mit bis zu acht sich umziehenden Arbeitern - das wurde heute
morgen noch von einem Hörer im Deutschlandfunk berichtet.
Zu begrüßende Maßnahmen einer Änderung des
Infektionsschutzgesetzes
Zunächst muss eine rechtlich bindende Testpflicht für alle Unternehmen für deren
Mitarbeiter eingeführt werden. Ohne Wenn und Aber. Das Gleiche gilt für
Schulen: mindestens zwei Tests in der Woche für alle Schüler/innen und dies
ebenfalls rechtlich vorgeschrieben. Desweiteren eine deutliche Personalaufstockung der
Gesundheitsämter, damit eine flächendeckendere Einhaltung der Maßnahmen
überprüft wird. Alles in allem also eine Durchsetzung einer Inzidenzregelung -
jenseits einer Ausgangssperre - nach der flexibel die Öffnung von Läden und von
Schulen für alle Bundesländer gehandhabt wird. Ohne dass föderal aus der Reihe
getanzt wird. Überschreitet sie etwa eine Zahl von 100, müssen Lockerungen zurückgenommen werden. Ein geändertes Infektionsschutzgesetz erlaubt durchaus Flexibilität, geltend für alle Länder. Außerdem muss eine massive Kommunikations-Kampagne der Bundesregierung kommen
- auf allen Kanälen, um alle Bürger und Bürgerinnen wirklich im besten Sinne
des Wortes aufzuklären und nochmals an die Solidarität zu appellieren.
Schließlich - eine deutliche Steigerung des Impftempos und eine
unbürokratischere Handhabung auf allen Ebenen. Auch das gehört in ein
Infektionsschutzgesetz, das seinen Namen verdient.
Bundesweite Coronaregelung als Werkzeug zur Öffnung
Diese wenigen Beispiele für bundesweite Regelungen sollen gerade zur Öffnung
und nicht zur Zementierung des Lockdowns führen. Es ist unverantwortlich, dass
Schulen weiter geschlossen bleiben, erst recht nicht für ältere Schüler/innen,
die mit Hygienemaßnahmen viel verantwortungsvoller umgehen können. Ganz zu
schweigen - und das kommt leider nur am Rande in den Medien vor - von den Sprach- und Integrationskursen des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Hier sind tausende von
Flüchtlingen ohne Unterricht, ohne weitere Begleitung und Integration. Sie
sitzen seit Monaten ohne Betreuung zu Hause und das obwohl es sich hier ausschließlich
um erwachsene Teilnehmer/innen zwischen 20 - 50 Jahren handelt. Diese Kurse
können zumeist nicht online stattfinden, weil die Teilnehmer/innen in der
Mehrzahl nicht die technischen Voraussetzungen für online-Unterricht haben. Ein
sozialer Sprengsatz, der uns um die Ohren fliegen wird, wenn hier nicht umgehend
wieder Präsenzunterricht stattfindet. Auch ganz zu schweigen von den
BAMF-Dozenten, die zumeist als Solo-Selbstständige diese Kurse im Auftrag des
BAMF bei Weiterbildungsträgern auf Honorarbasis durchführen. Sie sind seit Monaten
ohne Arbeit und ohne Einkommen und in der großen Zahl in der
Grundsicherung. Lehrpersonal also, das gesellschaftlich sehr sensible und vom BAMF beaufsichtigte Funktionen hat. Doch hier bleibt die Regierung - ebenfalls das BAMF - wie bei anderen
Dingen stumm.
Bernd Rasche