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Rede von Angela Merkel bei der Hannover Messe 2021

Es war mir immer eine große Ehre, den Wirtschaftsstandort Deutschland als Bundeskanzlerin auch vor internationalem Publikum präsentieren zu können ...



Herr Präsident, lieber Joko Widodo,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil,
sehr geehrter Herr Prof. Russwurm,
sehr geehrter Herr Köckler,
meine Damen und Herren,

die Pandemie verlangt von uns allen noch ein wenig Verzicht und Geduld. Aber natürlich hätte ich Sie alle heute sehr gerne persönlich in Hannover getroffen, gerade weil es meine letzte Rede als Bundeskanzlerin anlässlich einer Hannover Messe ist. Ich möchte mich bei Herrn Weil ganz herzlich dafür bedanken, dass er darauf noch einmal hingewiesen hat. Es war mir immer eine große Ehre, den Wirtschaftsstandort Deutschland als Bundeskanzlerin auch vor internationalem Publikum präsentieren zu können, obwohl wir auf der Hannover Messe als Deutsche auch immer gespürt haben, welcher Wind des Wettbewerbs uns um die Ohren pfeift, aber in dem wir natürlich auch bestehen wollen.

Die Hannover Messe wäre keine Leitmesse, wenn sie nicht das Beste aus der gegebenen Situation machen würde. Und so präsentiert sie sich dieses Jahr eben in einem ansprechenden digitalen Format. Die beeindruckende Zahl von 60.000 Teilnehmern spricht dabei für sich.

Ich freue mich natürlich ganz besonders, dass mit Indonesien ein starkes Partnerland vertreten ist. Lieber Joko Widodo, ein herzliches Willkommen an Sie – ich hätte Sie sehr, sehr gerne persönlich willkommen geheißen – und natürlich auch an alle indonesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ich wünschte mir aber glücklichere Umstände, denn Indonesien leidet ja derzeit nicht nur unter der Pandemie. Heftige Regenfälle und Überschwemmungen haben kürzlich Ihr Land heimgesucht und viele Todesopfer gefordert. Unsere Gedanken sind in dieser schwierigen Zeit bei den Angehörigen und allen Leidtragenden. Ihnen gilt unsere aufrichtige Anteilnahme.

Angesichts dieser furchtbaren Tragödie ist es alles andere als einfach, nun sozusagen einfach zur Tagesordnung überzugehen – auch für uns Deutsche. Denn für viele von uns ist Indonesien ja ein besonderer Sehnsuchtsort. Nicht von ungefähr war es auch einmal Gastland einer anderen Leitmesse in Deutschland, nämlich der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin im Jahr 2013. In dieser Woche wird Indonesien zeigen, dass nicht nur seine Landschaft, sondern auch seine Wirtschaft weit mehr zu bieten hat, als wir aus dem touristischen Bereich kennen. Obwohl Indonesien mit seinen mehr als 17.000 Inseln in drei Zeitzonen und seiner relativ jungen Bevölkerung auf den ersten Blick so ganz anders wirkt als Deutschland, gibt es doch erstaunlich viel, das uns verbindet. Das macht unsere beiden Länder zu engen Partnern.

Nächstes Jahr können wir bereits auf 70 Jahre diplomatische Beziehungen zurückblicken. Unsere Zusammenarbeit erstreckt sich auf so unterschiedliche Bereiche wie zum Beispiel den Klimaschutz und die berufliche Bildung. Sie haben soeben über die Transformation Indonesiens gesprochen; und ich darf Ihnen versichern: Deutschland möchte auch in den kommenden Jahren ein enger Partner bei der indonesischen Transformation in eine digitale und klimaneutrale Wirtschaft sein. Wir arbeiten auch in multilateralen Foren wie zum Beispiel der G20 sehr eng zusammen. Hier wird Indonesien im Jahr 2022 den Vorsitz innehaben, während Deutschland den G7-Vorsitz übernimmt. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Indonesiens in Europa. Ich wünsche Ihnen und uns, dass diese Messe unseren bilateralen Handel weiter stärkt, auch um die pandemiebedingten Wirtschaftseinbrüche möglichst bald zu überwinden.

Die deutsche Wirtschaft – das kann man sagen – ist derzeit zweigeteilt. Die Industrie erweist sich in dieser Krise als robust, der Dienstleistungssektor hingegen leidet stark unter den Einschränkungen. Alles in allem hängt die weitere Wirtschaftsentwicklung entscheidend davon ab, inwieweit wir das Infektionsgeschehen unter Kontrolle bringen. Die Infektionszahlen sind aktuell leider noch viel zu hoch. Die Auslastung der Intensivstationen in unseren Krankenhäusern nimmt wieder zu. Wir müssen sagen, dass diese dritte Welle für uns vielleicht die härteste ist. Um sie zu brechen, ist natürlich das Impfen die wichtigste Waffe, die wir haben; und das Testen hilft uns, eine Brücke zu bauen, bis das Impfen wirkt. Selbst eine schnellere Impfung unserer Bevölkerung ist aber noch keine Garantie dafür, dass sich weltweit nicht auch weitere Virusmutationen verbreiten, gegen die unsere Impfstoffe dann nicht mehr oder weniger gut wirken. Dies zeigt eindrücklich: eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung – heute und in Zukunft – erfordert ein gemeinsames Vorgehen der Weltgemeinschaft. Bevor nicht der Letzte geimpft ist oder ein Impfangebot bekommen hat, ist diese Pandemie nicht besiegt.

Deshalb unterstützt die Bundesregierung die globale Initiative ACT-Accelerator und die Impfinitiative COVAX. Seit deren Start im Frühjahr 2020 hat Deutschland mehr als zwei Milliarden Euro bereitgestellt. Wir sind damit der größte internationale Geber. Wir wollen damit verdeutlichen, dass der Zugang auch von ärmeren Ländern zu Impfstoffen von globalem Interesse ist. Im Übrigen darf ich sagen, dass Europa auch Impfstoffe und Produktionen in alle Welt liefert. So wird das von anderen Teilen der Welt nicht gemacht.

Eine Krise wie die gegenwärtige deckt schonungslos auf, dass wir – wo auch immer auf der Welt – in Sachen Resilienz und Krisenvorbeugung besser werden müssen. Das gilt gerade auch mit Blick auf internationale Lieferketten. Erinnern wir uns etwa an den Beginn der Pandemie, als es Lieferschwierigkeiten bei medizinischen Masken gab. Auch bei der Impfstoffproduktion hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, dass Lieferketten funktionieren.

Internationale Lieferketten sind besonders dann anfällig, wenn es nicht genug alternative Lieferanten für kritische Produkte gibt. Dann können auch kleine Störungen im weltweiten Produktionsverbund schon große Schäden verursachen. Daraus ziehen wir in Deutschland und Europa vor allem zwei Schlussfolgerungen: einerseits die Diversifizierung des Handels und die Intensivierung der multilateralen Zusammenarbeit, andererseits aber auch die strategische Stärkung der Unabhängigkeit Deutschlands und Europas. Damit wollen wir unseren Ruf als attraktiver und verlässlicher Partner in der globalen Wertschöpfung unterstreichen.

In Bezug auf die Impfstoffproduktion heißt das, die Produktionskapazitäten deutlich zu erhöhen – global, aber eben auch in Deutschland und Europa. Mit Unterstützung der Bundesregierung und des Landes Hessen ist es gelungen, in Marburg ein neues Werk der Firma BioNTech in kürzester Zeit in Betrieb zu nehmen. Zusätzliche Impfdosen sollen ab 2022 von Bayer aus Wuppertal kommen – in Kooperation mit dem Tübinger Start-up CureVac. Außerdem will Johnson & Johnson seinen Impfstoff teilweise in Dessau produzieren. All das stellt die Produktionskapazitäten auf eine breitere Grundlage und hilft die Versorgung zu sichern.

Mehr Unabhängigkeit oder Souveränität wünschen wir uns in Europa auch in anderen Bereichen – vor allem mit Blick auf Rohstoffe, Produkte und Technologien für kritische Infrastrukturen. Auch im digitalen Bereich müssen wir natürlich an unserer Souveränität arbeiten. Das bedeutet aber nicht, die Zusammenarbeit mit anderen Wirtschaftsräumen der Welt einzuschränken. Es geht vielmehr darum, eigene digitale Fähigkeiten und Kompetenzen generell zu stärken.

Darauf zielt auch eine Initiative ab, die ich gemeinsam mit den Regierungschefinnen von Dänemark, Estland und Finnland gestartet habe und der sich inzwischen auch weitere Mitgliedstaaten der EU angeschlossen haben, um gemeinsam mit der Europäischen Kommission unsere Defizite in der digitalen Wertschöpfung aufzuarbeiten.

Lieber Herr Russwurm, wir wissen um diese Defizite und gehen Sie auch sehr entschieden an. Sie haben das Projekt GAIA-X genannt. Ich kann die digitale Identität als großes Projekt nennen und auch die Digitalisierung unserer Verwaltung, die immer noch nicht schnell genug vorankommt, aber Schritt für Schritt vorankommt. Allerdings möchte ich mit Blick auf die von der Bundesregierung entwickelte Datenstrategie noch einmal darauf hinweisen, dass der Wert des Rohstoffs Daten auch von der deutschen Wirtschaft und dort vermehrt von den kleinen und mittelständischen Unternehmen anerkannt und genutzt werden muss. Ich glaube, hier stehen deutsche Wirtschaft und Politik vor einer gemeinsamen Aufgabe.

Wir müssen in Europa auch unsere Instrumente – hier möchte ich noch einmal das Wettbewerbsrecht ansprechen – an die Anforderungen des digitalen Wandels anpassen. Wir brauchen offene Märkte und funktionierenden Wettbewerb. Anders gesagt: Monopolbildung und Marktmachtmissbrauch gilt es entgegenzuwirken.

Das ist wichtig, reicht aber natürlich nicht aus. Wir müssen auch investieren. Und das tun wir auch. Zum Beispiel sind am Europäischen Gemeinschaftsprojekt für Mikroelektronik – einem Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse –insgesamt 27 europäische Unternehmen beteiligt, die am Ausbau europäischer Kompetenzen arbeiten. Deutschland investiert eine Milliarde Euro – und die beteiligten deutschen Unternehmen sind ihrerseits mit über 2,6 Milliarden Euro mit dabei. Ich glaube, das ist gut investiertes Geld.

Strategisch auf mehr Kompetenzen und Souveränität hinzuarbeiten – das bedeutet für uns auch, widerstandsfähiger im Fall von Krisen und Störungen internationaler Lieferketten zu werden. Das bedeutet aber keinesfalls Protektionismus. Das will ich ausdrücklich betonen. Es geht uns nicht darum, Handel einzuschränken, sondern – im Gegenteil – internationale Wirtschaftsbeziehungen zu stärken. Daher arbeitet die Europäische Union daran, weitere Handelsabkommen abzuschließen. Mit Indonesien wurden dazu bereits 2016 Verhandlungen aufgenommen. Und ich würde mir wünschen, dass es nicht weitere fünf Jahre dauert, bis ein Abkommen unterschriftsreif ist, sondern dass wir das vielleicht schneller schaffen.

Einen Eindruck davon, dass das für beide Seiten ein großer Gewinn wäre, vermittelt sicher auch die diesjährige Hannover Messe. Hier zeigen sich an vielen konkreten Beispielen neue Chancen für weitere und noch engere Kooperationen unserer Unternehmen – und damit auch Chancen für ein Stück mehr Krisenresilienz unserer Volkswirtschaften.

In diesem Sinne wünsche ich erfolgreiche Messetage. Und natürlich: Kommen Sie möglichst unbeschadet durch die Pandemie. Alles Gute für Sie alle, die Sie in den nächsten Tagen – heute Vormittag ist das auch schon geschehen – interessante Veranstaltungen anbieten werden. Auf eine gute Partnerschaft mit Indonesien. Alles Gute für den Messestandort Hannover, wo dann hoffentlich im nächsten Jahr wieder eine physische Messe stattfinden kann.


Die Bundesregierung