Gewalt gegen Frauen hat laut dem Weltbevölkerungsbericht in der Corona-Pandemie dramatisch zugenommen. Vor allem geschlossene Schulen aufgrund der Corona-Pandemie hätten eine "Gewaltspirale" in Gang gesetzt, von der besonders Frauen und Mädchen betroffen seien, sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch in Berlin.
Müller sprach von einer "Poly-Pandemie". Die Gesundheitskrise durch das Coronavirus sei nur die eine Seite der Krise. Zum anderen gebe es "die Hunger- und Armutskrise", im Zuge derer es mehr Gewalt gegen Frauen und Mädchen gebe.
Unter dem Titel "Mein Körper gehört mir: Das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung einfordern" befasst sich der Weltbevölkerungsbericht des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) in diesem Jahr vor allem mit der körperlichen Selbstbestimmung und Unversehrtheit von Mädchen und Frauen.
"In Krisen werden noch mehr Frauen und Mädchen Opfer von Zwangsverheiratung und Genitalverstümmelung", erklärte Jan Kreutzberg, Geschäftsführer der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), bei der Vorstellung des Berichts.
Mehr Frauen und Mädchen als je zuvor seien seit Pandemie-Beginn von geschlechtsspezifischer Gewalt und schädlichen Praktiken wie Frühverheiratung bedroht, heißt es in dem Bericht. 45 Prozent der Mädchen und Frauen in Ländern mit mittlerem oder niedrigen Einkommen können demnach nicht selbst entscheiden, ob sie Sex haben, verhüten oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen wollen.
Jeden Tag seien 2020 fast 4000 Frauen unfreiwillig schwanger geworden, da sie Corona-bedingt keinen Zugang mehr zu Verhütungsmitteln gehabt hätten. Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt seien in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die häufigste Todesursache bei Mädchen zwischen 15 und 19 Jahren.
Einen dramatischen Anstieg verzeichneten die Autoren des Berichts auch bei der weiblichen Genitalverstümmelung: Fast 11.000 Mädchen pro Tag erlitten demnach im vergangenen Jahr eine Genitalverstümmelung, also vier Millionen im Jahr. Laut dem Bericht hat diese Praxis im kenianischen Flüchtlingslager Dadaab seit Beginn der Corona-Pandemie um 20 Prozent zugenommen, in Somalia um rund 31 Prozent. Insgesamt könnte es nach UNFPA-Schätzungen im Zuge der Corona-Pandemie zu bis zu zwei Millionen zusätzlichen Fällen von weiblicher Genitalverstümmelung kommen.
Einen engen Zusammenhang sehen die Autoren zwischen sexueller Selbstbestimmung und dem Bildungsniveau von Frauen. Frauen, die weniger gebildet sind als ihr Ehemann oder Partner, erleben laut dem Bericht häufiger sexualisierte Gewalt als Frauen, deren Bildungsniveau mehr oder weniger dem ihres Ehepartners entspricht.
Viele Mädchen und Frauen wüssten nicht, dass sie das Recht hätten, Geschlechtsverkehr zu verweigern, heißt es in dem Bericht. So habe eine Studie in Indien gezeigt, dass frisch verheiratete Frauen in Indien ihren ersten Sex seltener als erzwungen oder "gegen ihren Willen" bezeichnen, weil Sex innerhalb der Ehe erwartet würde.
Solche Normen und Einstellungen verhindern laut dem Bericht oftmals auch, dass Frauen selbstbestimmte Entscheidungen über Verhütung treffen könnten - auch, weil Männer in vielen Ländern es als ihr Recht betrachteten, die Entscheidung über die Familiengröße zu treffen.
"Die Tatsache, dass fast die Hälfte der Frauen immer noch nicht selbst entscheiden kann, ob sie Sex haben, verhüten oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen will oder nicht, muss uns alle empören", erklärte UNFPA-Exekutivdirektorin Natalia Kanem. Das Leben hunderter Millionen Frauen und Mädchen werde "von anderen bestimmt", beklagte sie. Mehr Männer müssten zu "Verbündeten" im Kampf für die Gleichberechtigung von Frauen werden, forderte sie.
Die Autoren des Berichts forderten einen entschiedeneren Einsatz der internationalen Gemeinschaft für körperliche Selbstbestimmung und Unversehrtheit. Die Bundesregierung solle ihre "Vorreiterrolle im Bereich Globale Gesundheit weiter ausbauen" und "ihre Verantwortung für sexuelle Gesundheit und reproduktive Rechte stärker als bisher wahrnehmen", forderte die DSW.
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