Gegen teils deutliche Kritik aus der Opposition hat der Bundestag am Mittwoch eine bundeseinheitliche Notbremse zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossen. Die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes sieht Regelungen zu Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren sowie der Schließung von Geschäften und Schulen vor. Die meisten Maßnahmen sollen ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner gelten, Schulen müssen ab einer Inzidenz von 165 schließen.
Gegen die Vorlage stimmten auch Abgeordnete der Koalitionsfraktionen. 21 Nein-Stimmen kamen aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Weitere fünf Unionsabgeordnete enthielten sich. Bei der SPD stimmten nur zwei Abgeordnete gegen den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen, es gab drei Enthaltungen.
Geschlossen gegen das Vorhaben stimmten am Mittwoch die AfD, die FDP und die Linke. Bei den Grünen gab es eine Gegenstimme, die übrigen Abgeordneten enthielten sich. Insgesamt gab es 342 Ja-Stimmen, 250 Nein-Stimmen und 64 Enthaltungen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte die Neuregelung "angemessen, verhältnismäßig und geeignet" zur Pandemie-Bekämpfung. Die Neuregelung sei eine "Brücke", bis die gestarteten Impfungen vorankämen. Bei diesen gebe es bereits erhebliche Fortschritte.
Die große Koalition hatte sich zuvor auf eine Lockerung der ursprünglich anvisierten Regelung zur Ausgangssperre verständigt. Sie soll nunmehr erst ab 22.00 Uhr gelten, Spazierengehen und Joggen soll noch bis Mitternacht erlaubt sein. Die Schulen müssen ab einer Inzidenz von 165 schließen, zunächst war hier der Grenzwert von 200 geplant.
Am Donnerstag soll das Gesetz den Bundesrat passieren, danach könnte es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnen. Damit wäre der Weg frei für das Inkrafttreten der Neuregelung spätestens in der kommenden Woche.
FDP-Partei- und Fraktionschef Christian Lindner kündigte eine Verfassungsbeschwerde an. "Wir sehen die Regeln zur Ausgangssperre verfassungsrechtlich unverändert als hoch problematisch an", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Außerdem fehlt im Gesetz die Unterscheidung zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften."
Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali verwies in der Debatte auf den hohen Anteil von Infektionen in Betrieben. Trotzdem würden in dem Gesetz die Arbeitgeber "nicht richtig in die Pflicht" genommen. Die Umsetzung von Homeoffice werde "nicht richtig kontrolliert", Tests am Arbeitsplatz solle es nur als Angebot geben.
Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Maria Klein-Schmeink warf der Koalition vor, sie habe "zu spät, zu zögerlich gehandelt". Die bundeseinheitliche Notbremse sei "zu halbherzig und zu wenig wirksam". Ihre Fraktion erkenne an, dass es im Gesetzgebungsverfahren Verbesserungen gegeben habe. Aber insgesamt reichten diese Maßnahmen nicht für eine Trendumkehr.
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hielt der großen Koalition vor, sie unternehme mit dem Gesetz einen Angriff auf Freiheitsrechte, den Föderalismus und den "gesunden Menschenverstand".
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte mit Blick auf die Regelungen zum Homeoffice, es sei gelungen, mit dem Gesetz den Arbeitnehmerschutz zu stärken. Hier sei aber "noch Luft nach oben". Dem Gesetzentwurf zufolge müssen Firmen den Beschäftigten im Fall von Büroarbeit anbieten, diese in der eigenen Wohnung auszuführen, "wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen".
Kritik an der Vorlage kam vom früheren Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU). "Ich bin immer sehr skeptisch, wenn der Bund Kompetenzen an sich zieht", sagte Merz in RTL/n-tv. Er hätte sich "zumindest sehr schwergetan, dem zuzustimmen".
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