Kategorisierung ist ein Weg des Gehirns, die unzähligen Eindrücke unseres täglichen Lebens zu organisieren. Indem wir Informationen in Kategorien zusammenfassen, vereinfachen wir unsere komplexe Welt und können schnell und effektiv auf neue Erlebnisse reagieren. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen am Max-Planck-Institut für Neurobiologie haben nun gezeigt, dass auch Mäuse überraschend gut kategorisieren. Die Forschenden identifizierten Nervenzellen, die erlernte Kategorien repräsentieren und zeigen so, wie abstrakte Informationen auf neuronaler Ebene dargestellt werden.
Ein Kleinkind betrachtet ein neues Bilderbuch. Plötzlich deutet es auf eine Abbildung und ruft „Stuhl!“. Das Kind liegt damit völlig richtig, trotzdem erscheint es uns nicht sonderlich nennenswert. Wir erkennen schließlich alle Arten von Stühlen sicher als „Stuhl“. Für ein Kleinkind verbirgt sich dahinter jedoch ein enormer Lernprozess: Es muss die Abbildung in dem Buch mit den Stühlen, die es bereits kennt, verknüpfen – obwohl diese vielleicht eine ganz andere Form und Farbe haben. Wie schafft ein Kind das?
Die Antwort lautet Kategorisierung, ein fundamentales Element unseres Denkens. Sandra Reinert, Erstautorin dieser Studie, erklärt: „Jedes Mal wenn ein Kind einen Stuhl sieht, speichert es das Erlebnis. Basierend auf Ähnlichkeiten zwischen den Stühlen abstrahiert das Gehirn des Kindes die Eigenschaften und Funktionen von Stühlen und bildet eine eigene Kategorie „Stuhl”. So kann das Kind später neue Stühle schnell mit der Kategorie und dem darin enthaltenen Wissen verknüpfen.“
Unser Gehirn kategorisiert ununterbrochen: Nicht nur Stühle im Kindesalter, sondern jegliche Information zu jedem Zeitpunkt. Welchen Vorteil bietet uns das? Pieter Goltstein, Leiter dieser Studie sagt: „Unser Gehirn versucht eine Methode zu finden, unsere Welt zu vereinfachen und zu organisieren. Ohne Kategorisierung könnten wir nicht so effizient mit unserer Umgebung interagieren.“ Kurz gesagt: Wir müssten bei jedem Stuhl neu lernen, dass wir darauf sitzen können. Das Kategorisieren von Sinneseindrücken ist also essentiell für uns – die Vorgänge im Gehirn sind dabei aber weitgehend unverstanden.
Mäuse kategorisieren erstaunlich gut
Sandra Reinert und Pieter Goltstein untersuchten zusammen mit Mark Hübener und Tobias Bonhoeffer, Gruppenleiter und Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie, wie das Gehirn abstrakte Informationen wie erlernte Kategorien speichert. Da dies nur schwer im Menschen möglich ist, testeten die Forschenden, ob Mäuse auf eine ähnliche Weise wie wir kategorisieren. Dazu zeigten sie den Tieren Bilder mit unterschiedlichen Streifenmustern und gaben ihnen eine Sortierregel vor. Eine Mäusegruppe sollte die Muster anhand der Streifenbreite in zwei Kategorien einordnen, die andere Gruppe anhand der Orientierung. Die Mäuse erlernten die für sie zutreffende Regel und sortierten die Bilder zuverlässig der richtigen Kategorie zu. Nach dieser anfänglichen Trainingsphase ordneten sie sogar Streifenmuster, die sie zuvor noch nicht gesehen hatten, problemlos den Kategorien zu – ganz ähnlich dem Kind mit dem neuen Buch.
Und nicht nur das: Änderten die Forschenden die Sortierregel, ignorierten die Mäuse das zuvor Erlernte und sortierten die Bilder entsprechend der neuen Regel um – etwas, das auch wir ständig tun, wenn wir Neues lernen. Damit zeigt die Studie erstmals in welchem Umfang und mit welcher Präzision Mäuse kategorisieren und damit an unser Abstraktionsvermögen heranreichen.
Nervenzellen entwickeln Selektivität für die erlernten Kategorien
Mit dieser Erkenntnis konnten die Forschenden nun die Grundlagen von Kategorisierung im Mäusegehirn untersuchen. Sie konzentrierten sich auf den präfrontalen Kortex, eine Gehirnregion, die im Menschen bei komplexen Denkprozessen eine Rolle spielt. Die Untersuchungen zeigten, dass dort bestimmte Nervenzellen aktiv werden, wenn die Tiere die Streifenmuster in Kategorien ordneten. Interessanterweise reagierten dabei unterschiedliche Nervenzellgruppen selektiv auf einzelne Kategorien.
Tobias Bonhoeffer erklärt: „Die Entdeckung von Kategorie-selektiven Nervenzellen im Mäusegehirn war ein Schlüsselpunkt. Dadurch konnten wir erstmals die Aktivität solcher Nervenzellen von Anfang bis Ende des Kategorie-Lernens beobachten. Das zeigte, dass die Nervenzellen ihre Selektivität nicht sofort erlangen, sondern erst im Laufe des Lernprozesses entwickeln.“
Kategorie-selektive Nervenzellen sind Teil des Langzeitgedächtnisses
Die Forschenden vermuten daher, dass Kategorie-selektive Nervenzellen im präfrontalen Kortex erst dann eine Rolle spielen, wenn das Erlernte vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis verschoben wurde. Dort speichern die Zellen Kategorien als Teil des semantischen Gedächtnisses ab – die Sammlung alles Faktenwissens. In dem Zusammenhang sollten wir im Hinterkopf behalten, dass Kategorien eine Methode des Gehirns sind, unsere Welt einfacher zu gestalten. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Kategorien zwangsläufig „richtig“ sind oder die Realität korrekt abbilden.
Mit ihren Untersuchungen liefern die Forschenden wichtige Einblicke in die neuronalen Grundlagen des abstrakten Denkens. Gleichzeitig werden wir daran erinnert, dass komplexe Denkvorgänge nicht nur uns Menschen vorbehalten sind.
CB / Max Planck Gesellschaft
Foto: MPI für Neurobiologie/ Kuhl. Mäuse bilden Kategorien, um ihre Welt zu vereinfachen. Nachdem sie dies gezeigt hatten, identifizierten die Forschenden Nervenzellen, die solche Kategorien speichern.