Sehr
geehrte Damen und Herren,
die Älteren unter den Leserinnen und Lesern dieses Newsletters werden sich
vielleicht an den von Rudi Carell gesungenen Schlager »Wann wird's 'mal
wieder richtig Sommer, Ein Sommer, wie er früher einmal war?« erinnern. Und
irgendwie entfährt auch mir manchmal dieser Seufzer, wann wird es endlich
so wie früher? Wann endet diese vermaledeite Pandemie endlich? Wann sind
wieder Treffen möglich? Wann endlich können die Theater, Museen und vielen
anderen Orte der Kultur endlich wieder öffnen? Und wann, wann wird ein
Normalzustand eintreten?
Zuerst einmal gelten ab heute verbindlich und bundeseinheitlich Regeln, was
bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 je 100.000 Einwohner in einem
Landkreis oder einer kreisfreien Stadt gilt. Es ist richtig und war absolut
notwendig, dass mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes bundesweite
Regelungen zur Eindämmung der Pandemie verabschiedet wurden. Die Maßnahmen
werden hoffentlich schnell Wirkung zeigen.
Im neuen § 28b des Infektionsschutzgesetzes ist ab einer Inzidenz von 100
geregelt:
dass Ausgangssperren von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr gelten,dass Freizeiteinrichtungen, wozu auch Diskotheken und Clubs zählen, geschlossen sein müssen,dass Ladengeschäfte geschlossen werden müssen, es sei denn, sie bieten Waren des täglichen Bedarfs an, wozu auch Buchhandlungen zählen,dass Kultureinrichtungen, namentlich Theater, Opern, Konzerthäuser, Bühnen, Musikclubs, Kinos mit Ausnahme von Autokinos, Museen, Ausstellungen und Gedenkstätten, für das Publikum nicht öffnen dürfen. Probebetrieb beispielsweise in Theatern ist möglich und Filme können unter strengen Hygieneauflagen gedreht werden.
Aber
nicht alle Regelungen im neuen Infektionsschutzgesetz sind mir einsichtig.
Dass bei einer Inzidenz von mehr 100 grundsätzlich keine
Open-Air-Kulturveranstaltungen, selbst unter strengsten Hygienevorgaben,
durchgeführt werden dürfen, ist nicht nachvollziehbar. Leider ist es nicht
gelungen hierfür eine Regelung im Gesetz zu verankern.
Die Außenanlagen von Botanischen Gärten und Zoos dürfen auch bei Inzidenzen
über 100 öffnen. Das sei ihnen von Herzen gegönnt und ist gerade auch in
großen Städten, in denen viele Menschen beengt leben, sehr wichtig.
Allerdings gilt mit Blick auf die Kultur zu berücksichtigen, dass in der
Gesetzesbegründung zu § 28 a, Abs. 2 Nr. 7 des Infektionsschutzgesetzes auf
den Werk- und Wirkbereich der Kunstfreiheit explizit eingegangen wird. Die
Kultur wird durch Art. 5, Abs. 3 des Grundgesetzes, also durch die
Kunstfreiheit, besonders geschützt. Ähnlich den Religionsgemeinschaften,
die aufgrund ihres besonderen grundgesetzlichen Schutzes einer
Sonderregelung unterliegen, wäre dies auch für Kulturveranstaltungen unter
freiem Himmel wünschenswert gewesen. (Siehe Stellungnahme des Kulturrates zur Anhörung im
Gesundheitsausschuss des Bundestages am 16.04.2021)
Zumal mit dem Kultursommer 2021, einem Programm der Kulturstiftung
des Bundes aus Mitteln von NEUSTART KULTUR, im Freien stattfindende
Kulturveranstaltungen in Kommunen und Landkreisen gefördert werden sollen.
Mit diesem Programm sollen neue bzw. zusätzlich entwickelte Kulturprogramme
im öffentlichen Raum unterstützt werden, die ab Juni 2021 veranstaltet
werden. Das Programm soll insbesondere dazu dienen, lokalen und regional
arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern sowie freien Gruppen
Präsentationsmöglichkeiten zu bieten, freie Akteure breit zu beteiligen,
Angebote für ein junges Publikum zu unterbreiten und anderes mehr.
Antragsberechtigt waren Städte und Landkreise. Zahlreiche Bewerbungen mit
spannenden Konzepten wurden eingereicht und die Jury hat die schwierige Qual
der Wahl die zur Verfügung stehenden 30,5 Millionen Euro an die Richtigen
zu vergeben.
Föderalismuskrise
Dennoch eines darf nicht vergessen werden, dass eine Verschärfung des
Infektionsschutzgesetzes und eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich
wurde, liegt in erster Linie daran, dass das vorherige Verfahren immer
schlechter funktionierte. Zwar einigten sich die Ministerpräsidenten und
Ministerpräsidentinnen und die Bundeskanzlerin in zähen, über Stunden
dauernden Verhandlungen auf ein gemeinsames Vorgehen, doch kaum gingen die
Verantwortlichen auseinander, verkündete der eine oder andere
Ministerpräsident oder Ministerpräsidentin im eigenen Land doch anders zu
verfahren. Es gipfelte schließlich in der vor Ostern beschlossenen
Osterruhe, die einen Tag später wieder zurückgenommen wurde.
Ja, das Infektionsgeschehen zwischen den Ländern ist unterschiedlich, aber
auch innerhalb der Länder kann keineswegs von einem einheitlichen Bild
gesprochen werden. Diese Unterschiedlichkeit darf aber nicht dazu führen,
dass eigene Beschlüsse im Handumdrehen revidiert werden.
Das Handeln des Bundes offenbart das mangelnde Handeln der Länder. Sie
hätten es in der Hand gehabt, durch konsequentes Umsetzen oder auch
Verschärfen von Regeln das Infektionsgeschehen in Schach zu halten. Hamburg
beispielsweise hat schon am 2. April eine nächtliche Ausgangssperre
angeordnet und die Erfolge sind inzwischen (Stand 22. April) an sinkenden
Inzidenzen abzulesen. Die Ausgangssperre ist sicherlich nur ein
Erfolgsfaktor, dass er wirken kann, war aber auch in anderen europäischen
Ländern zu sehen.
Dass die Kanzlerin im Fernsehen verkündet hatte, eigene Schritte zu
überlegen, sollten die Länder nicht aktiv werden, hätte die Länder
eigentlich auf den Plan rufen müssen, gemeinsam und einheitlich Regeln zu
vereinbaren und umzusetzen, was bei einer Inzidenz über 100 gilt. Sie
hätten zeigen können, dass sie willens und fähig sind, gemeinsam diese
Pandemie zu bekämpfen. Leider scheint dieser gemeinsame Wille nicht
vorhanden zu sein. So lockert der eine und erklärt gleich ein ganzes
Bundesland zu einem Modellprojekt und der andere verschärft. Den
Durchblick, was wo wann und warum gilt, hat kaum noch jemand.
Seit einem Jahr ist immer wieder die Rede davon, dass durch die Pandemie
Schwachstellen oder Dysfunktionalitäten sichtbar werden. Auch wir haben
immer wieder Beispiele aus dem Kulturbereich angeführt. Deutlich sichtbar
werden ebenfalls die Dysfunktionalitäten im Föderalismus. Mehr
Gesamtverantwortung für das Gemeinwesen, das nicht an der eigenen
Landesgrenze endet, wäre der Schritt der Länder in die richtige Richtung.
Doch das ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, der Buhmann ist gefunden, der
Bund ist schuld und vor allem übergriffig. Schade, mehr Gemeinsinn wäre
eigentlich das richtige Signal in einer Zeit, die allen viel abverlangt.
Wo bleibt das Positive?
Positiv ist, dass es mit dem Impfen langsam, aber stetig vorangeht. Hier
scheint der Wettbewerb zwischen den Ländern zu gelingen, denn jeder möchte
deutscher Impfmeister werden. Sehr erfreulich ist auch, dass die Mittel aus
NEUSTART KULTUR auch im Jahr 2022 verwendet werden dürfen
und die Abrechnung im Jahr 2023 erfolgen kann. Vielen Programmverantwortlichen
wird ein Stein vom Herzen gefallen sein, bestand doch die Sorge, dass in
diesem Jahr sehr viel Geld ausgeschüttet werden muss und dafür im kommenden
Jahr aufgrund der Bundestagswahl und der abzusehenden vorläufigen
Haushaltsführung keine neuen Programme aufgelegt werden können. Jetzt
besteht die Möglichkeit auf längere Sicht, Programme anzulegen und damit
dem Kulturbereich eine Perspektive auch nach der Krise zu geben.
#allesdichtmachen
Abschließend noch eine Bemerkung zur Aktion #allesdichtmachen. 50
prominente Film- und Fernsehschauspieler haben gestern Abend auf Instagram
und YouTube persönliche Statements zur Coronapolitik der Bundesregierung
veröffentlicht. Diese ironisch-satirischen Clips sind meiner Meinung nach
in der aktuellen Debatte nicht hilfreich. Die Filmchen können hier gesammelt abgerufen werden.
PS. „Kultur macht stark“, das im Jahr 2013 startete, geht in
die 3. Runde. Das Programm geht auf eine Idee des Deutschen
Kulturrates zurück. Seit dem Start des Programmes des
Bundesbildungsministeriums wurden fast eine Million Kinder und Jugendliche
erreicht und mehr als 30.000 Projekte durchgeführt. Im Programm
"Kultur macht stark" werden die Projektmitttel über bundesweit
tätige Verbände und Initiativen vergeben. Dieses erfolgreiche Einbinden der
organisierten Zivilgesellschaft war auch Vorbild bei NEUSTART KULTUR.
Ihr
Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates vom 23.04.2021