Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kaum ein anderes Land in der Welt profitiert so stark von der arbeitsteiligen Wirtschaft wie unsere Bundesrepublik Deutschland. Das sichert Wohlstand und Arbeitsplätze in unserem Land. Aber, Herr Kollege, daraus ergibt sich auch eine besondere Verantwortung: für Menschenrechte, für anständige Arbeitsbedingungen weltweit, für die Globalisierung, die wir fair und menschlich gestalten wollen.
Ja, es gibt eine staatliche Verantwortung, bei Handelsverträgen beispielsweise, oder auch bei Investitionsschutzabkommen, um ein aktuelles europäisches Beispiel zu nennen. Zugleich gibt es aber auch Unternehmensverantwortung für Menschenrechte und faire Arbeit, und genau deshalb ist das Lieferkettengesetz heute ein Meilenstein. Wer global wirtschaftet, wer global Gewinne macht, muss auch global Verantwortung übernehmen. Diesen Grundsatz schreiben wir mit unserem Lieferkettengesetz zukünftig rechtsverbindlich fest.
Weltweit werden fast 25 Millionen Menschen in Zwangsarbeit ausgebeutet. 152 Millionen Kinder sind Opfer von Kinderarbeit. Und die Schädigung der Umwelt ist in internationalen Lieferketten allzu oft leider immer noch Teil des Geschäftsmodells. Das sind bedrückende, das sind erschütternde Fakten, die wir nicht einfach achselzuckend akzeptieren können. Und Gerd Müller, mein Freund, hat es erwähnt. Es ist ja nicht so, dass das eine Schande ist, dass so etwas in der Politik auch parteiübergreifend, sogar in dieser Koalition, möglich ist.
Was uns vor allen Dingen geprägt hat, ist, dass wir 2019 gemeinsam nach Äthiopien gereist sind und uns vor Ort ein Bild gemacht haben: ein bitterarmes Land, mit dem wir intensive Handelsbeziehungen haben. Wir haben gute Beispiele gesehen, und wir haben erschütternde Beispiele gesehen. Wir haben erlebt, was passiert, wenn deutsche Unternehmen sich in den Lieferbeziehungen kümmern, zum Beispiel in einer Textilfabrik: mit vorbildlichen Arbeitsbedingungen, mit Arbeitsschutz, mit einigermaßen anständigen Löhnen, mit Mitarbeitervertretung. Und wir haben ein furchtbares Beispiel in einer Gerberei gesehen, wo Frauen bis zu den Knien in Chemikalien standen, wo es keinen Arbeitsschutz gab, wo es Hungerlöhne gab. Das war – und ich sage es bewusst – das, was wir vor 150 Jahren in unserem Land eine frühkapitalistische Hölle genannt haben. Wer das gesehen hat, der weiß: Es gibt unternehmerische Verantwortung, und die Unternehmen, die das aus Deutschland heraus auch machen, ändern die Arbeitsbedingungen auch in ihren Lieferbeziehungen. Das hat Äthiopien gezeigt.
Mit dem Gesetz machen wir den Schutz von Menschenrechten und den Schutz von Umwelt zum verbindlichen unternehmerischen Standard. Im Gegensatz zu dem, was vorhin erzählt wurde: Das umfasst die gesamte Lieferkette, was umweltrechtliche, umweltbezogene und menschenrechtliche Risiken betrifft. Diese sind zu überprüfen, und treten dabei Hinweise auf Kinderarbeit, Sklavenarbeit, Zwangsarbeit oder die Vergiftung lokaler Trinkwasserressourcen zutage, dann muss ein Unternehmen zukünftig im Rahmen seiner Möglichkeiten reagieren.
Wir verlangen nicht mehr und nicht weniger. Die unternehmerische Sorgfaltspflicht endet eben zukünftig nicht mehr am eigenen Werktor, sondern erstreckt sich auf die gesamte internationale Lieferkette und im eigenen Geschäftsbereich auf die direkten Zulieferer, aber auch auf die mittelbaren Zulieferer.
Wer Regeln erlässt, muss auch dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Hier ist über die Wirksamkeit des Gesetzes gesprochen worden. Es ist eben kein Papiertiger, sondern ein Gesetz mit Biss; denn es enthält klare Pflichten und klare Regeln, und es sieht Kontrollen und substanzielle Sanktionen für den Fall vor, dass das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Verstöße feststellt.
Und wenn es so weit kommt, dann drohen empfindliche Zwangs- und Bußgelder und ab einer bestimmten Schwelle zukünftig auch der Ausschluss von Unternehmen von der öffentlichen Auftragsvergabe. Wir haben das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle mit einem robusten Mandat zur Durchsetzung versehen, übrigens mit Beweissicherungsmöglichkeiten und mit Zutrittserlaubnissen, um den Dingen auch nachgehen zu können.
Deshalb sage ich: Bei allem, was man sich so wünschen mag – und dieses Gesetz kann man sicherlich zukünftig weiterentwickeln, vor allen Dingen, wenn es zu einer europäischen Regelung kommt –: Das ist ein wesentlicher Schritt. Wir haben zwar keinen zivilrechtlichen Haftungsweg im deutschen Gesetz, aber ein robustes Mandat mit einer behördlichen Durchsetzung.
Das sollten Sie nicht kleinreden, zumal wir ein Zweites durchgesetzt haben, was mir persönlich sehr, sehr wichtig war. Es geht auch darum, die Rechte der Menschen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, unmittelbar zu stärken. Es gibt – theoretisch – schon jetzt eine zivilrechtliche Möglichkeit für diese Menschen, vor deutschen Gerichten zu klagen. In der Realität des Lebens haben aber die meisten, die von solchen Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten in anderen Ländern betroffen sind, weder die Kraft noch das Geld, ihre Rechte vor deutschen Gerichten geltend zu machen. Und deshalb ist es ein Riesenfortschritt, dass zukünftig deutsche Gewerkschaften, deutsche Nichtregierungsorganisationen und Hilfsorganisationen im Namen und im Einverständnis der menschenrechtlich Betroffenen diese Rechte durchsetzen können. Das ist konkrete Politik.
Wir sorgen auch für fairen Wettbewerb; denn es gibt viele Unternehmen, die sich kümmern. Anstand darf in der Globalisierung kein Wettbewerbsnachteil sein; auch das ist wichtig.
Zum Schluss: Die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland fußt auf dem Prinzip von wirtschaftlichem Handeln und gesellschaftlicher Verantwortung. In diesem Sinne bitte ich Sie, diesem Gesetzentwurf in der parlamentarischen Beratung zum Durchbruch zu verhelfen. Wir haben nur noch vier Sitzungswochen Zeit, aber dieses Gesetz gibt auch einer europäischen Lösung Rückenwind, und damit leisten wir einen Beitrag zur gerechteren Globalisierung.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil vom 23.04.2021
Fotoe: BMAS / Dominik Butzmann