Als erster US-Präsident hat Joe Biden die Massaker an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs als Völkermord anerkannt. "Wir gedenken all derer, die im Völkermord an den Armeniern während der Zeit der Osmanen gestorben sind", erklärte Biden am Samstag. Die Türkei lehnt eine Einstufung der Massaker als Völkermord vehement ab; Bidens Schritt dürfte das Verhältnis zwischen beiden Staaten erheblich belasten.
Biden betonte, es handele sich um die Bestätigung einer historischen Tatsache und gehe nicht darum, der Türkei "Vorwürfe zu machen". Die Anerkennung der Geschichte sei wichtig um zu verhindern, "dass solch eine Gräueltat sich jemals wiederholt". In einem Telefonat mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan hatte Biden am Vortag um Verständnis für den Schritt geworben.
Die türkische Regierung reagierte am
Samstag umgehend: Die Türkei müsse sich "von niemandem über unsere
Geschichte belehren lassen", schrieb Außenminister Mevlüt Cavusoglu
Minuten nach der Veröffentlichung von Bidens Erklärung auf Twitter.
"Worte können die Geschichte nicht ändern oder umschreiben". Staatschef
Erdogan erklärte, das Thema dürfe nicht "durch Dritte politisiert" und
"als Instrument zur Einmischung in unserem Land" missbraucht werden.
Stattdessen solle die Debatte Historikern überlassen werden.
Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan dankte Biden derweil für dessen "wichtigen Schritt in Richtung Gerechtigkeit" und seine "Unterstützung für die Nachkommen der Opfer des Völkermords an den Armeniern".
Der 24. April 1915 markierte den Beginn der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich. Schätzungen zufolge wurden zwischen 1915 und 1917 von den Soldaten des Osmanischen Reiches zwischen 1,2 und 1,5 Millionen Armenier getötet. Die Türkei lehnt die Verwendung des Begriffs Völkermord ab und spricht von einem Bürgerkrieg, in dessen Verlauf auf beiden Seiten Hunderttausende ihr Leben verloren.
Der Bundestag hatte die Massaker an den Armeniern im Juni 2016 als Völkermord eingestuft. Dies löste eine schwere diplomatische Krise mit der Türkei aus. Im Dezember 2019 erkannte auch der US-Kongress in einem symbolischen Votum die Massaker als Völkermord an. Der damalige Präsident Donald Trump, der freundschaftliche Beziehungen zu Erdogan pflegte, schloss sich diesem Schritt jedoch nicht an.
Bidens Telefonat mit Erdogan am Freitag war der erste direkte Kontakt zwischen den beiden Politikern seit dem Amtsantritt des US-Präsidenten vor drei Monaten. Die Staatschefs vereinbarten dabei nach Angaben des Weißen Hauses ein bilaterales Treffen am Rande des Nato-Gipfels in Brüssel am 14. Juni. Die türkische Seite erklärte, Erdogan und Biden seien sich über die Bedeutung ihrer Zusammenarbeit einig gewesen.
Ein US-Regierungsbeamter betonte, Biden habe seit seinem Amtsantritt bereits deutlich gemacht, dass er einen Fokus auf die Einhaltung der Menschenrechte legen wolle. Auch habe er sich klar gegen den tief verwurzelten Rassismus in den USA gestellt.
Bidens enge Mitarbeiterin Samantha Power schrieb im Internetdienst Twitter, der Erfolg des türkischen Präsidenten Erdogan dabei, "die USA und andere Länder zu erpressen und zu mobben, damit sie den Völkermord an den Armeniern nicht anerkennen", habe diesen lediglich ermutigt, "während er repressiver wurde".
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Shaun TANDON / © Agence France-Presse