Dass die Leistungsfähigkeit
der Nieren im Alter abnimmt, ist schon lange bekannt. Doch welche
Nierenfunktion ist bei älteren Personen normal, bei wie vielen von ihnen
ist sie eingeschränkt? Und wie rapide schreitet der Funktionsverlust
normalerweise fort? Antworten auf diese Fragen sind insbesondere
relevant für Menschen, die Medikamente einnehmen: Wenn die Nieren einen
Wirkstoff nicht mehr schnell genug ausscheiden können, droht eine
Überdosierung – mit möglicherweise schwerwiegenden Folgen. Deshalb
schätzen Ärzte die Nierenleistung ab, bevor sie die Dosis bestimmter
Medikamente festsetzen. Das Problem: Dazu standen ihnen nur Formeln zur
Verfügung, die anhand der Daten jüngerer Menschen entwickelt worden
waren.
Um das Wissen zur Nierenfunktion im Alter zu erweitern,
startete das Team um Prof. Dr. Elke Schäffner, Stellvertretende
Direktorin des Instituts für Public Health der Charité, 2009 die
Berliner Initiative Studie. Ziel des Forschungsvorhabens war es, mehr
als 2.000 Menschen ab 70 Jahren aus Berlin und Brandenburg über mehrere
Jahre lang zu begleiten und in regelmäßigen Abständen eingehend zu
untersuchen. „Angesichts eines durchschnittlichen Alters der Probanden
von 80 Jahren, verbunden mit alterstypischen Begleiterkrankungen und
häufig auch Gebrechlichkeit, war das kein leichtes Unterfangen“, betont
Prof. Schäffner.
Die Teilnehmenden wurden fünf Mal im Abstand
von zwei Jahren zu ihren Gewohnheiten, Erkrankungen und Medikamenten
befragt. Zusätzlich wurden ihr Blutdruck und ihre Nierenfunktion
gemessen sowie Blut- und Urinproben untersucht. Der Aufwand zahlte sich
aus: Die Forschungsgruppe erarbeitete einen bislang einmaligen
Datenschatz zum Gesundheitszustand älterer Menschen – und ihrer
Lebensgewohnheiten: Ein Fünftel der Studienteilnehmenden gab an, täglich
Alkohol zu trinken. Die Hälfte der Befragten hatte in ihrem Leben
geraucht oder rauchte noch immer. Je ein Viertel der Personen war
übergewichtig, hatte Krebs und/oder Diabetes. Und knapp 80 Prozent der
Probanden nahmen blutdrucksenkende Mittel ein. Diese Patienten nahm die
Forschungsgruppe für eine Untersuchung zum Einfluss des Blutdrucks auf
die Gesamtsterblichkeit besonders in den Fokus. Wie sie feststellte, ist
es nicht für alle älteren Personen gesünder, wenn ihr Blutdruck auf
unter 140/90 mmHg gesenkt wird. Im Gegenteil: Bei Menschen, die älter
als 80 Jahre sind oder bereits einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt
hatten, steigt das Sterberisiko sogar.
Die neuen Daten zur
Nierenfunktion, der sogenannten glomerulären Filtrationsrate, zeigten
außerdem: Etwa bei der Hälfte der Probanden arbeiteten die Nieren nur
eingeschränkt. Zusätzlich stellten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler fest, dass die bisher genutzten Gleichungen zur
Einschätzung der Filtrationsrate die tatsächliche Leistungsfähigkeit der
Nieren bei älteren Menschen überschätzen. „Das bedeutet, dass Ärzte
aufgrund der ungenauen Schätzwerte möglicherweise eine Medikamentendosis
festsetzen, die für die Patienten eigentlich zu hoch ist“, erläutert
Prof. Schäffner. Um hier Abhilfe zu schaffen, entwickelte das Team um
die Nephrologin und Epidemiologin 2012 eine Berechnungsmethode, mit der
die Nierenfunktion bei Menschen ab 70 Jahren präziser als bisher
abgeschätzt werden kann: die BIS1- bzw. BIS2-Formel. „Ärztinnen und
Ärzte können beide Formeln heute ganz einfach und kostenfrei über einen
Online-Rechner nutzen. Auch eine Reihe von Laborverbünden hat diese
Methode mittlerweile in ihr Portfolio aufgenommen“, sagt Prof.
Schäffner.
Die Medizinerin freut sich über die vielen
Ergebnisse der Studie: „Die Berliner Initiative Studie hat dazu
beigetragen, dass wir mehr über den Gesundheitszustand älterer Menschen
wissen und diese Altersklasse stärker in den Fokus rücken.“ Zusammen mit
ihrem Team ist sie derzeit dabei, die Daten weiter zu analysieren, um
beispielsweise herauszufinden, wie sich im Alter die Abnahme der
Nierenfunktion über die Zeit verhält und wodurch sie beeinflusst wird.
Prof. Dr. Elke Schäffner
Stellvertretende Direktorin des Instituts für Public Health
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Foto: Pixabay