Neue Richtlinie bietet Anliegern der Autobahnen mehr Schutz
Das Ohr hört viele Geräusche – doch erst das Gehirn entscheidet, ob der Schall als Lärm empfunden wird. Vogelzwitschern im Frühling streichelt die Seele, schon bei Musik scheiden sich dagegen die Geister. Und Verkehrslärm? Da sind sich die Menschen in der Regel einig: der stört.
Lärmschutz gehört darum für die Autobahn Westfalen zum täglichen Geschäft. Mit einer neuen Richtlinie, die seit März in Kraft ist, gerät der Lärmschutz noch einmal mehr in den Blick. „Die Vorgaben wurden so verändert, dass der Schutz des Menschen verbessert wird“, sagt Elfriede Sauerwein-Braksiek, Direktorin der Niederlassung Westfalen der Autobahn GmbH des Bundes.
Lärm wird berechnet
Das Wichtigste vorweg: Auch mit Einführung der neuen Richtlinie RLS-19 wird Lärm weiterhin berechnet und nicht gemessen. Und das hat einen Grund: „Nur durch eine Berechnung können wir vergleichbare Ergebnisse ermitteln und eine Gleichbehandlung aller Bürger gewährleisten“, so Kirsten Peveling, Bauingenieurin im Bereich Planung und Lärmschutz bei der Autobahn Westfalen in Hamm. „Eine Messung wird von vielen äußeren Faktoren beeinflusst, zum Beispiel vom Wetter oder der Verkehrsdichte und -zusammensetzung am Tag der Messung. Bei Neubauprojekten wäre eine Ermittlung der Lärmwerte daher gar nicht möglich, weil es ja noch keinen Verkehr gibt.“
Die Berechnungsgrundlagen gehen grundsätzlich vom schlechtesten Fall für die Anlieger aus. Das bedeutet zum Beispiel: Der Wind weht in der Theorie immer von der Autobahn in Richtung Bebauung. Diese Vorgaben sind auch mit der neuen Richtlinie gesetzlich vorgeschrieben – geändert haben sich jedoch Berechnungsgrundlage und Auslösewerte, die den Bau von Lärmschutzanlagen an der Strecke oder die Finanzierung von passivem Lärmschutz bei den Anliegern nach sich ziehen. „Hier werden wir in Zukunft mehr Maßnahmen umsetzen“, sagt Elfriede Sauerwein-Braksiek, „weil mehr Menschen einen Anspruch auf Lärmschutz haben.“
Grenzwerte für Neu- und Ausbau
Nicht nur beim Neubau einer Straße, auch beim Ausbau greift die Lärmschutzrichtlinie. Wird eine Autobahn von vier auf sechs Spuren ausgebaut, also eine wesentliche Änderung der Straße herbeigeführt, fällt das Projekt unter die sogenannte Lärmvorsorge, die auch bei Neubauprojekten das Maß der Dinge ist. Das bedeutet: die Grenzwerte müssen mit Hilfe geeigneter Maßnahmen eingehalten werden. Und nach der neuen Richtlinie sind die Grenzwerte schneller erreicht. „Die Verkehrszusammensetzung wird anders bewertet und auch die lärmmindernde Wirkung des Straßenbelages wird nun getrennt nach Pkw, Lkw und Geschwindigkeit betrachtet“, erklärt Kirsten Peveling. So konnten die Planer für den so genannten OPA (Offenporiger Asphalt) früher einheitlich 5 dB(A) (Maßeinheit für den Schalldruckpegel) beim Einsatz dieses Fahrbahnbelages für den Lärmschutz ansetzen. In der neuen Richtlinie wird nun unterschieden zwischen Pkw und Lkw. So kann der „OPA“ jetzt für Pkw nur noch mit 4,5 dB(A) und für Lkw mit 4,4 dB(A) angesetzt werden. „Wir unterscheiden zudem genauer, was für ein Verkehr auf der Strecke unterwegs ist“, sagt Elfriede Sauerwein-Braksiek. Vor allem Lkw sind ab einer Geschwindigkeit von 60 km/h durch das Rollgeräusch der Reifen eine relevante Schallquelle, die Motorengeräusche haben dagegen mit den Jahren abgenommen. Motorräder, die in der neuen Richtlinie ebenfalls gesondert in den Blick geraten, sind auf Autobahnen dagegen nicht die Hauptursache für Lärm. „Diese Fahrzeuge spielen eher im Netz der Bundes- und Landesstraßen eine Rolle“, ergänzt Peveling.
Splitt-Mastix-Asphalt mindert Lkw-Lärm
Konsequenz der neuen Richtlinie wird zum einen der vermehrte Bau von Lärmschutzwänden oder -wällen sein, zum anderen der zurückhaltendere Einsatz des OPA-Belages. Denn diese Asphalt-Variante muss in der Regel nach acht bis zehn Jahren erneuert werden. In einem lärmmindernden Splitt-Mastix-Asphalt, der für den Lkw-Verkehr ähnliche Werte liefert wie der Offenporige Asphalt, sieht Elfriede Sauerwein-Braksiek eine gute Alternative für die Zukunft. „Dieser Belag ist weitaus haltbarer und wir haben somit weniger Baustellen im Netz.“
Neben der gesetzlich vorgeschriebenen Lärmvorsorge bei Neu- und Ausbauprojekten befassen sich die Planer der Autobahn Westfalen auch mit der sogenannten Lärmsanierung. Diese freiwillige Leistung des Bundes betrifft bestehende Strecken und wird meist mit Hilfe passiver Lärmschutzmaßnahmen, beispielweise Lärmschutzfenster, gelöst. Dabei geht es in der Regel um Einzelfallbetrachtung.
Hintergrund
- An den Autobahnen der Niederlassung Westfalen, die sich vom niedersächsischen Emsland bis ins nördliche Hessen um 1370 Autobahnkilometer kümmert, finden sich 374 Kilometer Lärmschutzkonstruktionen.
- Die Autobahn Westfalen investiert fast 20 Millionen Euro jährlich in den Lärmschutz.
- Grenzwerte Lärmvorsorge in reinen und allgemeinen Wohngebieten: Tag 59 dB(A) – Nacht 49 dB(A)
- Auslösewerte Lärmsanierung in reinen und allgemeinen Wohngebieten: Tag 64 dB(A) – Nacht 54 dB(A). Eine Lärmsanierung muss beantragt werden.
- Die neue Richtlinie RLS19 unterscheidet drei Fahrzeugarten: Pkw sowie leichte und schwere Lkw. Zusätzlich können Motorräder berücksichtigt werden.
- Reifen-Fahrbahn-Geräusch: Während innerstädtisch bei geringen Geschwindigkeiten die Motorengeräusche die Klangkulisse dominieren, überwiegen ab einer Geschwindigkeit von 60 km/h die Rollgeräuschen der Reifen.
- Übrigens: Je breiter der Reifen, umso lauter das Abrollgeräusch. Jeder Autofahrer kann also zur Lärmminderung beitragen.
- Der „Tag gegen Lärm“ findet in Deutschland seit 1998 immer im April statt, abgestimmt mit dem „International Noise Awareness Day“. In diesem Jahr findet der Tag gegen Lärm am Mittwoch, 28. April, statt.
Autobahn Westfalen
Foto: Autobahn Westfalen. Farbige Elemente schützen die Anlieger der A40 bei Bochum vor Lärm.