Die Ingenieurkammer-Bau NRW trauert um die Opfer des Brückeneinsturzes in Mexiko-Stadt. Das Unglück, dessen Ursachen gründlich untersucht werden müssen, führt uns auf tragische Art Weise vor Augen, um welch sicherheitsrelevante Bauwerke es sich bei Brücken handelt.
Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW: „Brücken sind systemrelevante und sensible Bauwerke, lässt man sie zu Schaden kommen, nimmt auch das öffentliche Leben Schaden und die Menschen verlieren das Vertrauen in ihre öffentliche Infrastruktur. Sicherheit ist ein nicht verhandelbares Gut, dies gilt umso mehr bei unseren vielfältigen Brückenbauwerken.“
Nicht jeder Riss ist gleich gefährlich
Brücken baut man heute meist aus Stahl, Beton oder einer Kombination aus beiden Baustoffen. Mit der Zeit können Risse im Beton und Stahl auftreten und der Stahl kann ermüden. Dr.-Ing. Heinrich Bökamp: „Rissbildung allein ist dabei kein Versagenskriterium. Erst die Größe der Rissbreite in Verbindung mit der Größe der Ermüdungsbeanspruchung durch Verkehr liefert zuverlässige Aussagen über die Gefährdung des Bauwerks. Entscheidend ist daher die regelmäßige Beobachtung durch eine Brückenprüfung. Fortlaufende Unterhaltung – und dazu gehört zweifelsfrei die Brückenprüfung – ist eine gute Investition für jedes Bauwerk.“
Wie werden Brücken geprüft
Die Vorschriften der Brückenprüfung sind in Deutschland im einheitlichen Regelwerk der DIN-Norm 1076 zusammengefasst: Alle sechs Jahre schreibt die Regel eine umfassende Hauptprüfung der Brücke vor. Ingenieure untersuchen dann auch schwer zugängliche Bauwerksteile, und zwar immer handnah: Bei großen und hohen Brücken geht deshalb nichts ohne den Einsatz von Gerüsten, Hubarbeitsbühnen und sogenannten Brückenuntersichtgeräten. Drei Jahre nach der jeweiligen Hauptprüfung folgt eine einfache Prüfung als „erweiterte Sichtprüfung“. Auch in den übrigen Jahren nehmen die Experten die Brücke in Augenschein. Jeden Mangel halten sie mit einem bundesweit einheitlichen Verfahren in einem elektronischen „a“ fest.
Von wem werden Brücken geprüft
Die DIN 1076 spricht auch eine klare Empfehlung aus, wer die Brücken prüfen sollte: Natürlich nur eine Ingenieurin oder ein Ingenieur, „ … der die statischen und konstruktiven Verhältnisse der Bauwerke beurteilen kann“. Ein solcher Ingenieur sollte ein Hochschul- bzw. Fachhochschulstudium im Bauingenieurwesen abgeschlossen haben, gerne mit der Fachrichtung Konstruktiver Ingenieurbau oder einer ähnlichen Ausrichtung. Eine etwa 5-10-jährige Berufserfahrung im Brücken- bzw. konstruktiven Ingenieurbau ist erwünscht, insbesondere in den Bereichen der Entwurfsbearbeitung, Bauausführung, Standsicherheitsberechnung oder Bauwerksinstandsetzung. 2008 haben das Bundesverkehrsministerium, die Straßenbauverwaltungen der Bundesländer, die Kommunen sowie Ingenieurkammern wie beispielsweise die Ingenieurkammer-Bau NRW sich zu einem Verein zusammengeschlossen, um die Qualität der Prüfung und Überwachung von Ingenieurbauwerken zu fördern. Der „Verein zur Förderung der Qualitätssicherung und Zertifizierung der Aus- und Fortbildung von Ingenieurinnen/Ingenieuren der Bauwerksprüfung“ (VFIB) organisiert seitdem gemeinsam mit seinen Mitgliedern die Fortbildung und Qualifikation und vergibt nach bestandener Abschlussprüfung ein Zertifikat.
Warum Brücken manchmal gar nicht geprüft werden und weshalb das gefährlich ist
Im Interesse der allgemeinen Sicherheit verlangen die meisten, jedoch noch nicht alle Straßenbauverwaltungen bei der Vergabe von Bauwerksprüfungen dieses Zertifikat als Nachweis der Sachkunde. Manche Gebietskörperschaften prüfen ihre Brücken gar nicht. Denn während die Bauwerksprüfung nach DIN 1076 Bund und Länder verpflichtet, ist sie für die Kommunen nur eine Empfehlung. Der Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW, Dr.-Ing. Heinrich Bökamp: „Die Entscheidung, ob und wann eine Brücke geprüft und anschießend saniert wird, hängt in den Städten und Gemeinden nicht allein von der technischen Beurteilung ab, sondern von der Bereitschaft des Kämmerers, Geld für die Prüfung bereitzustellen. Im Interesse der allgemeinen Sicherheit wäre es Ausweis gelebten Verbraucherschutzes, hier auch die Kommunen in die Pflicht zu nehmen.“
140.000 Brücken stehen in Deutschland in der Verantwortung der Kommunen. Die Gemengelage aus empfohlener, aber nicht vorgeschriebener Brückenprüfung und chronisch klammen Haushalten führt im Ergebnis dazu, dass viele Brücken in den Städten und Gemeinden sich heute in einem kritischen Zustand befinden. Eine Untersuchung des Bundesrechnungshofes Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 2013 zeichnet ein beunruhigendes Bild: Nur gut ein Viertel der Kommunen prüfte ihre Brücken überhaupt nach den Vorschriften der DIN 1076. Ein Brückenkataster oder -verzeichnis pflegten nur 18 Prozent der Kommunen und die jährlichen Besichtigungen der Brücken vernachlässigten rund 70 Prozent der Städte und Gemeinden. Dr.-Ing. Heinrich Bökamp: „Es gibt leider keine zwingenden Gründe anzunehmen, dass die Untersuchung der Lage in den anderen Bundesländern ein gänzlich anderes Bild ergeben würde.“
Bereits vor zwei Jahren bemängelte der Deutsche Städte- und Gemeindebund, dass die finstere Finanzlage vieler Kommunen zu einem Mangel an qualifiziertem Fachpersonal und Know-how in den Planungs- und Bauämtern geführt habe. Dieser Umstand leitet zum nächsten Problem über, das nicht nur die Kommunen betrifft, sondern ähnlich für alle öffentlichen Gebietskörperschaften gilt: Sucht die öffentliche Hand in einem Vergabeverfahren ein Ingenieurbüro für die Brückenprüfung nach DIN 1076, erhält oft das billigste und nicht das wirtschaftlichste und beste Angebot den Zuschlag. Fehlt in den Vergabeämtern wegen des Personalmangels die Sachkunde, um die Qualität eines Angebots zu beurteilen, hält man sich als vermeintlich einzig quantifizierbare Einheit an den Preis. Darunter leidet die Qualität von Prüfung, Sanierung und Brückenneubau. Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW: „Beim Neubau einer Brücke sollte am Ende das bestmögliche Bauwerk entstehen, das über seine gesamte Lebensdauer hinweg betrachtet das wirtschaftlichste ist. Solche Lösungen entstehen oft als Ergebnis von Planungswettbewerben. Sie sind ein gutes Mittel, um im Wettbewerb der Ideen die Qualität eines Entwurfs zum entscheidenden Kriterium zu machen und nicht nur den Preis einer Leistung.“
Ingenieurkammer-Bau NRW