Interview mit Hasan Sicim
Der große Bruder
„Ich nehme die Menschen als Rose. Wenn ich sie falsch anfasse, verletze ich sie“, sagt Hasan Sicim, dessen erster Wunsch es war, Pilot zu werden. „Aber“, sagt er, „ich war drei Zentimeter zu klein“. Mit 15 kam er nach Deutschland zu seinen Eltern, die hier in der ersten Generation der „Gastarbeiter“ ihr Auskommen suchten. Schnell begriff er, dass er Deutsch lernen musste, um weiterzukommen. Und so pendelte er ständig nach Essen, um an Sprachkursen teilzunehmen.
Kultur ist jedoch nicht ausschließlich Sprache, das wurde ihm klar. Insbesondere die Speisenzubereitung gehört zur Kultur einer Nation. Deshalb entschied er sich für eine Ausbildung zum Koch, eigentlich mit dem Ziel, die westfälische Küche in Anatolien bekannt zu machen, sich dort niederzulassen, wo seine Wurzeln sind. Daneben war es die Musik, die ihn bewegte. Wo er doch so schön das Saz spielte, ein türkisches Langhals-Zupfinstrument, für das er heute noch Lieder komponiert. Mit der Musik machte und macht Hasan Sicim sich und andere glücklich. Wollte er überhaupt noch arbeiten? Aber natürlich war das keine ernsthafte Frage.
Mit Beginn der Familienphase, die inzwischen sechs Kinder im Alter zwischen 19 und 34 Jahren hervorgebracht hat, wandte Hasan sich regelmäßigen Arbeitszeiten zu, was ihn schließlich über Umwege zum Ordnungsamt brachte. Und da strahlt er richtig, als er von der jungen Frau erzählt, der er zwar zunächst ein „Knöllchen“ verpassen musste, ihr dann aber doch helfen konnte, als sie ihre Jacke samt Handy und Geld im eigenen Auto eingeschlossen hatte. Geld für ein Taxi hat er ihr überlassen und seine alte, abgewetzte Zweitjacke aus der Fahrradtasche. Und wie überschwänglich hat sie sich ein paar Tage später bedankt mit einem Paket, das neben Schokolade und dem geliehenen Geld auch eine nagelneue Fleecejacke enthielt.
Oder er erzählt von dem Falschparker, dessen Mutter, gerade als Hasan Sicim ihn aufschreibt, auf Türkisch zu ihrem Sohn sagt: „Sag einfach, dass du Darmkrämpfe hast, dann dürfen sie dich nicht aufschreiben.“ Der Mutter war natürlich nicht klar, dass Hasan, den alle nur Abi – den großen Bruder – nennen, die Sprache beherrscht. Und so antwortete er ebenfalls auf Türkisch: „Gute Besserung.“ Er sei nett, charmant, aber hart, hat ihn mal ein Verkehrsteilnehmer charakterisiert. Damit kann Hasan Sicim, heute Ausbilder und Teamleiter, gut leben – denn bei aller Freundlichkeit gilt es doch auch, Regeln einzuhalten.
Text Interview: Burkard Knöpker
Foto: Charlotte Beck
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