Die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes sieht unter anderem vor, dass bei einer Sieben-Tage-Inzidenz, die mehrere Tage lang über dem Wert von 100 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner liegt, zwischen 22.00 Uhr und 05.00 Uhr Ausgangsbeschränkungen gelten. Bürger dürfen dann nur noch unter bestimmten Bedingungen nach draußen.
Diese Ausgangssperre sei nicht offensichtlich verfassungswidrig, teilte das Gericht nun mit. "Es liegt nicht eindeutig und unzweifelhaft auf der Hand, dass sie zur Bekämpfung der Pandemie unter Berücksichtigung des Einschätzungsspielraums des demokratischen Gesetzgebers offensichtlich nicht geeignet, nicht erforderlich oder unangemessen wäre."
Das Gericht entschied darum, die Regelung vorläufig nicht außer Kraft zu setzen. Die Beschwerdeführer hatten im Wesentlichen geltend gemacht, dass durch die bußgeldbewehrten Ausgangsbeschränkungen erhebliche Eingriffe in ihre Grundrechte erfolgten, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt seien. Sie verlangten die vorläufige Außerkraftsetzung der Vorschrift.
Die Verfassungsbeschwerden seien zwar "weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet", erklärten die Karlsruher Richter. Sie erwiesen sich aber "auch nicht schon als offensichtlich begründet". Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens sei "vielmehr offen".
Die Frage, ob der Bundesrat dem neuen Infektionsschutzgesetz hätte zustimmen müssen, bedürfe einer "näheren Klärung". Die Ausgangssperre diene zudem "einem grundsätzlich legitimen Zweck". Ob sie zur Zielerreichung geeignet sei, sei "fachwissenschaftlich umstritten". Eine fehlende Eignung sei jedoch "nicht evident".
Auch eine "offensichtliche Unangemessenheit" der Beschränkungen erkannte das Gericht nicht. "In den Hauptsacheverfahren über die Verfassungsbeschwerden wird die Verhältnismäßigkeit der hier angegriffenen gesetzlichen Regelung über die Ausgangsbeschränkung eingehender Prüfung bedürfen", hieß es.
Für seine Eilentscheidung nahm das Bundesverfassungsgericht eine Folgenabwägung vor. Erwiesen sich die Verfassungsbeschwerden trotz der nun erfolgten Entscheidung später als begründet, seien "die Nachteile aus der Fortgeltung der Ausgangsbeschränkung zwar von erheblichem Gewicht", betonten die Richter.
Insbesondere greife die nächtliche Ausgangsbeschränkung "tief in die Lebensverhältnisse ein". Ihre Folgen wirkten sich zudem "auf nahezu sämtliche Bereiche privater, familiärer und sozialer Kontakte ebenso wie auf die zeitliche Gestaltung der Arbeitszeiten aus".
Doch auch wenn die Regelung vorläufig außer Vollzug gesetzt, sich später aber als verfassungsgemäß erweisen würde, könnte dies "Nachteile von erheblichem Gewicht verursachen". Dies gelte, weil die Beschränkung in diesem Fall "als bundeseinheitlich wirkende Maßnahme der Infektionsbekämpfung" entfallen würde.
"Trotz der nicht unerheblichen Belastungen für sämtliche von der Ausgangsbeschränkung Betroffenen überwiegen die damit verbundenen Nachteile nicht gegenüber denen einer Außervollzugsetzung", befand das Gericht. Zwar könne die "nicht ausübbare Freiheitsbetätigung nicht nachgeholt werden.
Stünde die Ausgangssperre aber bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache "als Instrument zur Sicherung und Kontrolle der aktuell dringend gebotenen Kontaktbeschränkungen nicht zur Verfügung, gingen damit erhebliche, wenn auch im Einzelnen nicht sicher prognostizierbare Infektionsrisiken einher".
Die Regelung enthalte zudem Ausnahmen und sei "zeitlich relativ eng begrenzt". Die Nachteile für die Betroffenen überwögen daher "ungeachtet der erheblichen Eingriffsintensität der Ausgangsbeschränkung nicht gegenüber den Nachteilen für einen wirksamen Infektionsschutz bei Aussetzen der Regelung".
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