Menschenansammlungen einschränken, Abstand halten, Masken tragen: Sogenannte nicht-pharmazeutische Maßnahmen, die möglichst alle umsetzen sollten, um das Infektionsgeschehen einzudämmen, spielen seit Beginn der Coronapandemie eine zentrale Rolle. Längst werden diese Hinweise aber nicht mehr nur über klassische Medien, wie Zeitungen, Radio oder Fernsehen, verbreitet, sondern zu großen Teilen auch über soziale Medien. Hier zeigt sich, dass die Appelle, Empfehlungen und Regelungen von Regierungen nicht nur auf Zuspruch und Verständnis stoßen, sondern – häufig vermischt mit persönlichen Meinungen – auch zu politisch aufgeladenen Diskussionen, Verschwörungserzählungen und zu einer Mobilmachung gegen die Maßnahmen führen.
Doch wovon hängt es ab, ob Menschen Coronamaßnahmen ablehnen? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen der Politisierung von Coronathemen in sozialen Netzwerken und der Entwicklung der Infektionszahlen? Diesen Fragen sind Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung mit Hilfe eines Mobilisierungsmodells am Beispiel von Facebook in den USA nachgegangen.
Simulierte Kampagne
Zunächst simulierten sie eine hypothetische, politische Kampagne, in der die Demokratische Partei nicht-pharmazeutische Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus empfiehlt. Die Ergebnisse der Modellrechnungen zeigen, dass sich diese Kampagne der Demokraten in demokratische Staaten dreimal so schnell verbreitet hätte wie in republikanische Staaten. Die politische Polarisierung, egal in welche Richtung, hätte es schwer gemacht, alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zu erreichen. „Die Akzeptanz und die daraus folgende, weitere Verbreitung von Maßnahmen ist demnach davon abhängig, ob Sender und Empfänger politisch gleichgesinnt sind“, sagt Inho Hong, Erstautor der Studie und Forschungsstipendiat im Forschungsbereich Mensch und Maschine am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.
Als Methode diente den Forschern ein Modell, mit dem sie die Prozesse der sozialen Mobilisierung simulierten. Die Daten dafür stammten aus zwei Quellen: dem „Facebook Social Connectedness Index“, einem Maß für die Berechnung sozialer Verbindungen zwischen Menschen aus unterschiedlichen Regionen, und demografischen Angaben und Datensätzen aus Wahlprotokollen der New York Times. Auf Basis dieser Daten berechneten die Wissenschaftler, wie sich die demokratische Kampagne über Facebook verbreitet hätte und ob sie zu politischen Aktionen, wie etwa Demonstrationen, geführt hätte.
Entwicklung der realen Coronazahlen
Im nächsten Schritt prüften die Forscher einen möglichen Zusammenhang zwischen der sozialen Mobilisierbarkeit der beiden Lager und der tatsächlichen Ausbreitung von Covid-19-Fällen in den USA. Sie fanden heraus, dass sich eine Mobilisierung im demokratischen Lager positiv auf die Bekämpfung der Pandemie ausgewirkt hätte, weil viele Menschen sich online zusammengeschlossen und die Regelungen schnell und frühzeitig verbreitet hätten.
Die politische Aufladung und die daraus resultierenden Aktionen auf republikanischer Seite hätten dagegen das Infektionsgeschehen in manchen Regionen verschlimmert. So stiegen die Infektionszahlen ab Mitte April 2020 an, nachdem Republikaner gegen den ersten Lockdown demonstrierten und die vorgegebenen Hygieneregeln nicht konsequent beachteten. Das bedeutet, politische Regelungen, wie Lockdowns, könnten nach Umdeutung durch politisch polarisierte Gegner das Gegenteil bewirken und die Situation sogar verschärfen.
„Das Modell hat es uns nun ermöglicht, einen Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Spaltung in den USA, der Verbreitung von Informationen über Facebook und der Entwicklung des Infektionsgeschehens aufzuzeigen“, sagt Alex Rutherford, Senior Research Scientist und Studienleiter im Forschungsbereich Mensch und Maschine am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Co-Autor der Studie.
Politische Konsequenzen
Die Studienergebnisse legen nahe, dass eine politische Aufladung der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung kontraproduktiv wirken und das Infektionsgeschehen auch „befeuern“ kann. „In den sozialen Medien wurde die Maske schnell zum politischen Statement umgedeutet und zur Polarisierung genutzt. Regierungen sollten daher abwägen, an wen und über welche Kanäle sie Informationen verbreiten und ob sie Mobilisierung gezielt einsetzen wollen“, sagt Manuel Cebrian, Leiter der Forschungsgruppe zur digitalen Mobilisierung im Forschungsbereich Mensch und Maschine am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Co-Autor der Studie.
Der Fokus der Studie lag auf politischen Haltungen US-amerikanischer Bürgerinnen und Bürger. Mögliche andere ausschlaggebende soziale Faktoren, wie Beruf, Einkommen, Geschlecht und Herkunft müssten in weiterführenden Studien untersucht werden. Diese könnten Aufschluss für zukünftige Kommunikationsplanungen von Maßnahmen geben – beispielsweise für die Impfstrategien von Regierungen.
Max Planck Gesellschaft
Foto: Asterfolio / Unsplash. Einfluss per Smartphone: Soziale Medien spielen bei der Eindämmung der Coronapandemie eine zentrale Rolle.