Je nach Ausgang könnten außerdem auf den Bundeshaushalt Belastungen in Milliardenhöhe zukommen. In den beiden Verfahren geht es zwar um viele kleinteilig wirkende Fragen. Doch die mündliche Verhandlung am Mittwoch und die noch in diesem Monat erwartete Entscheidung haben wegen der möglichen Folgen eine enorme Dimension.
Der Ursprung der anstehenden Verfahren mit den Aktenzeichen X R 20/19 und X R 33/19 geht noch auf die Zeit zurück, als SPD und Grüne die Bundesregierung stellten und der Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hieß. Zum 1. Januar 2005 wurde als Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2002 die Rentenbesteuerung umgestellt - mit einer langen Übergangsphase bis ins Jahr 2040.
Die komplexe Ausgestaltung dieser Übergangsphase ist strittig. Die beiden Kläger - ein Zahnarzt und ein Steuerberater - fühlen sich und ihre Ehefrauen durch die Gesetzesregelung jedenfalls benachteiligt. Sie glauben, dass sie doppelt besteuert werden. Und mit dieser Auffassung sind sie nicht allein.
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) unterstützt die Verfahren und sieht eine Doppelbesteuerung vieler Rentner, vor der das Bundesfinanzministerium die Augen verschließe. "Da die Politik nicht handelt, muss das Thema jetzt vor Gericht gelöst werden", erklärte BdSt-Präsident Reiner Holznagel im Vorfeld der Verhandlung.
Aus einer Antwort des Bundesfinanzministeriums vom April auf eine FDP-Anfrage geht hervor, dass deutschlandweit derzeit 142.000 Einsprüche von Rentnern gegen eine mögliche Doppelbesteuerung anhängig sind. Fast alle diese Verfahren ruhen derzeit mit Blick auf die erwartete Münchner Entscheidung.
Die beklagte Doppelbesteuerung kann Rentnern entstehen, wenn sie während ihres Erwerbslebens Beiträge zur Altersvorsorge aus bereits versteuertem Einkommen zahlen und die Rente dann bei der Auszahlung erneut besteuert wird. Umstritten ist dabei, wie die Doppelbesteuerung genau berechnet wird. Die Kläger werfen den Finanzämtern vor, diverse Steuerfrei- und Pauschbeträge zu Ungunsten der Senioren anzurechnen.
Der Bundesfinanzhof sieht beide Verfahren im Grunde unterschiedlich, auch wenn es jeweils um die doppelte Besteuerung geht. Im Verfahren X R 20/19 geht es unter anderem darum, ob sich bei Leibrenten aus privaten Kapitalanlagen eine doppelte Besteuerung ergeben kann. Dies stellte das Finanzgericht als Vorinstanz so fest, entschied wegen eines Nachteils von hundert Euro für den Kläger aber auf Geringfügigkeit und beließ den Steuerbescheid unverändert.
Das Verfahren X R 33/19 ist ein Revisionsverfahren, in dem etwa entschieden werden muss, ob der Grundfreibetrag und abziehbare Krankenversicherungsbeiträge bei der Ermittlung des steuerfreien Teils der Rente berücksichtigt werden müssen oder nicht. Diese Entscheidung dürfte deutlich mehr Rentner betreffen.
Außerdem wird in dem Verfahren geklärt, ob für den steuerfreien Rentenanteil nur die statistische Lebenserwartung des Steuerpflichtigen relevant ist oder auch die des Ehegatten mit Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Der Hintergrund ist, dass Frauen eine höhere Lebenserwartung haben.
Es sind also viele Einzelfragen zu klären, deren Beantwortung je nach dem konkreten Steuerfall für den einzelnen Rentenbezieher bei einem Erfolg der beiden Kläger entsprechende finanzielle Vorteile bringen könnte. Für die Finanzämter wiederum könnte sich das Vorgehen bei der Besteuerung der Rentner ändern - mit entsprechend mehr Aufwand.
ran/cfm
von Ralf ISERMANN © Agence France-Presse