Smartphone-Apps zur Pflanzenbestimmung wie „Flora Incognita“ können nicht nur Pflanzenarten erkennen, sie erfassen auch großräumige ökologische Muster. Diese Muster stimmen mit Langzeit-Kartierungen der deutschen Flora erstaunlich gut überein, obwohl sie in kürzester Zeit gewonnen wurden und stark vom Verhalten der App-Nutzer beeinflusst werden. Das sind die wesentlichen Erkenntnisse einer Studie, die ein Forscherteam aus Mitteldeutschland nun präsentiert hat.
Computerprogramme, die Methoden der künstlichen Intelligenz nutzen, können Pflanzenarten heute mit hoher Genauigkeit bestimmen. Smartphone-Apps nutzen diese Technik, um Pflanzen vor Ort unkompliziert zu bestimmen. Auch Laien können sich so schnell einen Zugang zur biologischen Vielfalt (Biodiversität) verschaffen. Doch vor dem Hintergrund von Klimawandel, dem Verlust von Lebensräumen und veränderter Landnutzung könnten solche Applikationen noch einen weiteren Nutzen haben: Durch die Erfassung der Pflanzenstandorte entstehen wertvolle Datensätze, die Forschenden Aufschluss darüber geben können, wie sich verschiedene Umweltbedingungen verändern.
Doch wie zuverlässig sind die so gesammelten Informationen – und können sie es mit langfristig angelegten Datensätzen aufnehmen? Genau dieser Frage ist ein Forschungsteam des Deutschen Zentrums für Biodiversitätsforschung, des Remote Sensing Center for Earth System Research der Universität Leipzig und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung, des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie und der Technischen Universität Ilmenau gemeinsam nachgegangen. Das Team untersuchte Daten, die zwischen 2018 und 2019 mithilfe der App Flora Incognita in Deutschland erfasst wurden und verglich diese mit der Datenbank FlorKart des Bundesamtes für Naturschutz. Dabei handelt es sich um eine herkömmliche Langzeit-Kartierung, die mit der Unterstützung von über 5000 Pflanzenexperten über einen Zeitraum von über 70 Jahren erstellt wurde.
Daten, wie Umweltfaktoren die Verbreitung von Pflanzen beeinflussen
Die Forschenden stellten fest, dass sich mit den Daten, die in nur zwei Jahren mithilfe der App Flora Incognita gewonnen wurden, ökologische Muster in Deutschland ableiten lassen, die mit einer langfristigen Kartierung der Flora Deutschlands vergleichbar sind. Die Daten spiegelten dabei auch wider, welchen Einfluss verschiedene Umweltfaktoren auf die Verbreitung verschiedener Pflanzenarten haben.
Ein direkter Vergleich der beiden Datensätze zeigte jedoch auch, dass die Datensätze aus der App in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte von denen der herkömmlichen Langzeit-Kartierung abwichen. „Wie viele Daten in einer bestimmten Region mit einer App gesammelt werden, ist natürlich stark davon abhängig, wie viele Smartphone-Nutzende es dort gibt“, sagt Jana Wäldchen, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Biogeochemie und Mitentwicklerin der App. In ländlichen Regionen waren die Abweichungen daher stärker – es sei denn, es handelte sich um beliebte touristische Ziele, wie beispielsweise an der Zugspitze oder auf der Nordsee-Insel Amrum.
Auch die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer haben einen Einfluss auf die erfassten Pflanzenarten. „Die mit der App gesammelten Pflanzenobservationen geben das wieder, was die Menschen in der Natur sehen und wofür sie sich interessieren”, sagt Wäldchen. So werden häufige und auffällige Arten öfter bestimmt als die seltenen und unauffälligen Arten. Trotz solcher Besonderheiten, hilft die schiere Menge der gesammelten Pflanzenbeobachtungen, bekannte biogeographische Muster zu rekonstruieren. Für ihre Studie konnten die Forschenden auf mehr als 900.000 Observationsdaten zurückgreifen, die während der ersten beiden Jahre seit dem Erscheinen der App entstanden sind.
Apps zur Pflanzenbestimmung könnten ökologische Veränderung weltweit in Echtzeit erfassen
Die Studie zeigt das Potential dieser Art von Datenerfassung für die Biodiversitäts- und Umweltforschung, die schon bald in Strategien zur Langzeit-Kartierung integriert werden könnte. „Wir sind überzeugt, dass die automatische Arterkennung in Zukunft noch viel größere Potentiale hat als bisher angenommen und eine schnelle Erfassung von Änderungen der Biodiversität ermöglichen könnte“, sagt Miguel Mahecha, Professor an der Universität Leipzig. Mit einer steigenden Nutzerzahl von Apps wie Flora Incognita könnten Veränderungen der Ökosysteme weltweit in Echtzeit erfasst und analysiert werden.
Die App Flora Incognita haben die Gruppen von Jana Wäldchen und von Patrick Mäder an der TU Ilmenau gemeinsam entwickelt. Sie ist die erste in Deutschland angewandte App zur Pflanzenbestimmung, die tiefe künstliche neuronale Netze (Deep Learning) nutzt. Trainiert mit Tausenden von Pflanzenbildern, die von Experten bestimmt wurden, erkennt Flora Incognita mittlerweile über 4800 Pflanzenarten weit über die Landesgrenzen hinaus.
„Bei der Entwicklung von Flora Incognita haben wir festgestellt, dass es einen großen Bedarf und ein großes Interesse an besseren Technologien zur Erfassung von Biodiversitätsdaten gibt. Für uns als Informatiker ist es erfreulich zu sehen, dass die von uns entwickelten Technologien einen wichtigen Beitrag zur Biodiversitätsforschung leisten”, sagt Patrick Mäder, Professor an der TU Ilmenau.
Max Planck Gesellschaft / Kati Kietzmann, iDiv
Foto: Jana Wäldchen / MPI-BGC. Die App Flora Incognita kann Pflanzen bestimmen. Mithilfe der Standortdaten der erfassten Pflanzenarten entstehen außerdem wertvolle Datensätze zur Verbreitung der verschiedenen Arten.