Das EU-Parlament hat eine Woche vor der Weltklimakonferenz den "Klimanotstand" für die Europäische Union ausgerufen. Eine deutliche Mehrheit der EU-Abgeordneten stimmte am Donnerstag in Straßburg angesichts der dramatischen Folgen des Klimawandels für die Ausrufung des "Umwelt- und Klimanotstands". Damit verbunden ist die Forderung an die neue EU-Kommission und die Mitgliedstaaten, mehr für den Klimaschutz zu tun.
Konkret bekräftigte das EU-Parlament seine Forderung, das Ziel der CO2-Emissionssenkungen bis 2030 von 40 Prozent auf 55 Prozent zu erhöhen. Referenzjahr ist jeweils 1990. Außerdem solle die EU anstreben, bis spätestens 2050 klimaneutral zu werden. Grüne und linke EU-Abgeordnete hatten sich in eigenen Entschließungstexten für noch ambitioniertere Ziele ausgesprochen, jedoch keine Mehrheit erzielt.
Die SPD-Abgeordnete Delara Burkhardt scheiterte mit einem Änderungsantrag mit der Forderung nach einem europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie. Burkhardt bedauerte, dass weiterhin viele "Kernenergie als Bestandteil des Kampfes gegen die Klimakrise" sähen.
Der französische Liberale Pascale Canfin, der die Klima-Entschließung eingereicht hatte, begrüßte das Abstimmungsergebnis als "starke Botschaft an die Bürger und den Rest der Welt". Er werde nun genau darauf achten, ob die EU-politischen Entscheidungen der nächsten Woche der Forderung des Parlaments Rechnung tragen.
Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die am Mittwoch vom EU-Parlament grünes Licht für den Amtsantritt ihrer Kommission am 1. Dezember erhalten hatte, hat versprochen, innerhalb der ersten 100 Tage ein umfassendes "Klimaschutzgesetz" in die Wege zu leiten. Mitte Dezember sollen die Umrisse dafür vorgestellt werden. Die Kosten für die Bekämpfung des Klimawandels in der nächsten Dekade veranschlagte von der Leyen mit einer Billion Euro.
Scharfe Kritik an der Positionierung der Volksvertretung kam aus dem rechten Parlamentsflügel. CSU-Politiker Markus Ferber hielt den Befürwortern der Entschließung vor, mit der Begrifflichkeit "Notstand" "Entscheidungen ohne demokratische Legitimation" zu fordern. Allerdings stimmten einige seiner Fraktionskollegen auch für den Entschließungstext.
Der CDU-Abgeordnete Peter Liese merkte an, dass im Deutschen das Wort "Notstand" vor allem mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in den 30er Jahren in Verbindung gebracht werde. Ein Änderungsantrag, der auf Deutsch die Formulierung "Klima-Dringlichkeit" vorsah, fand jedoch keine Mehrheit.
Die rechtskonservative EKR-Fraktion bezeichnete die Ausrufung des Notstandes als "Panikmache". Die von der polnischen Regierungspartei PiS dominierte Fraktion will stattdessen mehr Geld für die Energiewende. Zudem fordert sie eine offizielle Bewertung der Auswirkungen, die das Pendeln des EU-Parlaments zwischen Straßburg und Brüssel auf die Umwelt hat. Die Rechtspopulisten hingegen, darunter die EU-Abgeordneten der AfD, forderten vor allem, dass zunächst die "wirklichen Auswirkungen des Klimawandels" festgestellt werden.
Lob für die Positionierung des Parlaments kam von Umweltschützern. "Es ist wichtig, den Notstand auszurufen", erklärte Wendel Trio, Chef des Climate Action Networks (CAN). Allerdings müssten nun auch konkrete Taten folgen. Am Freitag ist ein weiterer weltweiter Aktionstag mit Demonstrationen und Klimastreiks geplant.
In einem separaten Entschließungstext, der mit einer breiten Mehrheit angenommen wurde, forderte das Parlament zudem, dass die EU sich bei der Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen in Madrid nächste Woche als Vorreiter beim Klimaschutz präsentieren soll.
Bislang haben nach Angaben des EU-Parlaments mehr als 1000 Verwaltungseinheiten weltweit - Staaten, Städte und Gemeinden - wegen der Folgen des Klimawandels den Notstand ausgerufen und damit die Eindämmung der Erderwärmung zur Priorität erklärt. Im September fasste das österreichische Parlament einen entsprechenden Beschluss. In Deutschland taten dies 43 Städte, darunter Köln, Leipzig und Wiesbaden.
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Peter EßER / © Agence France-Presse