Eine von Belarus erzwungene Landung einer Linienmaschine von Ryanair in Minsk und die Festnahme eines mitreisenden Exil-Oppositionellen haben am Sonntag scharfen Protest in der hervorgerufen. Der am Montag beginnende EU-Gipfel werde über "Konsequenzen und mögliche Sanktionen" beraten, kündigte ein Sprecher in Brüssel an. Die Nato sprach von einem "ernsten und gefährlichen Vorfall". Die Maschine landete am Abend in Vilnius, wie AFP-Reporter bestätigten.
Die Ryanair-Maschine befand sich am Sonntag auf einem Flug von Athen nach Vilnius, als sie von einem belarussischen Kampfjet zur Notlandung gezwungen wurde. Am Flughafen von Minsk wurde dann der Regierungskritiker und ehemalige Chefredakteur des Oppositionskanals Nexta, Roman Protasewitsch, festgenommen, wie Nexta berichtete. Das staatliche Fernsehen bestätigte die Festnahme. Ob Protasewitsch am Abend mit nach Vilnius flog oder in Minsk blieb, war zunächst unklar.
"Dieser beispiellose Vorfall" werde "nicht ohne Konsequenzen bleiben", kündigte EU-Ratspräsident Charles Michel an. Er verurteilte auf das Schärfste die "erzwungene Landung eines Ryanair-Fluges in Minsk" und die Festnahme des Journalisten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, der Vorfall erfordere eine "internationale Untersuchung".
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, "dass ein Flug zwischen zwei EU-Staaten unter dem Vorwand einer Bombendrohung zur Zwischenlandung gezwungen wurde", sei "ein gravierender Eingriff in den zivilen Luftverkehr in Europa". Die Bundesregierung sei sehr besorgt, "dass auf diesem Weg der Journalist Roman Protasewitsch verhaftet wurde",
Nach Angaben der belarussischen Behörden wich die Maschine am Sonntag auf dem Weg nach Litauen wegen einer "Bombendrohung" von ihrem Kurs ab. Die belarussische Präsidentschaft bestätigte, dass auf Anweisung von Machthaber Alexander Lukaschenko ein Kampfflugzeug vom Typ MiG-29 aufgestiegen sei, um das Flugzeug abzufangen.
Nach der Notlandung sei bei einer Überprüfung des Flugzeugs keine Bombe gefunden worden, berichtete Nexta weiter. Es seien "alle Passagiere zu einer weiteren Sicherheitskontrolle geschickt" worden. Unter ihnen habe sich auch Protasewitsch befunden. "Er wurde festgenommen."
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte neben der sofortigen Freigabe der Ryanair-Maschine, dass "alle Passagiere" ihre Reise umgehend fortsetzen könnten, und verlangte damit ausdrücklich die Freilassung von Protasewitsch. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte auf Twitter, jeder Verstoß gegen die internationalen Luftverkehrsregeln müsse "Konsequenzen nach sich ziehen".
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sprach von einem "Akt des Staatsterrorismus", Litauens Präsident Gitanas Nauseda von einer "abscheulichen Aktion" der Regierung Lukaschenko. Die Regierung Irlands, wo Ryanair seinen Firmensitz hat, erklärte, der Vorfall sei "absolut inakzeptabel".
Der britische Außenminister Dominic Raab erklärte, die "haarsträubende Aktion von Lukaschenko wird ernste Auswirkungen haben". Das französische Außenministerium bestellte den belarussischen Botschafter ein, das polnische Außenministerium den Geschäftsträger der Regierung in Minsk.
Die in Litauen im Exil lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja prangerte die Festnahme ihres Mitstreiters ebenfalls an. Die Regierung von Belarus habe die Landung der Maschine mit Protasewitsch an Bord "erzwungen", schrieb sie auf Twitter. Ihm drohe nun die Todesstrafe in seinem Heimatland.
Die belarussischen Geheimdienstbehörden hatten den 26-jährigen Lukaschenko-Gegner im November auf die Liste der "an terroristischen Aktivitäten beteiligten Personen" gesetzt.
Laut Nexta hatte Protasewitsch bereits vor dem Einstieg in das Flugzeug berichtet, dass er verfolgt werde. Nach Angaben des derzeitigen Chefredakteurs Tadeusz Gicsan waren Agenten des belarussischen Geheimdienstes an Bord der Ryanair-Maschine.
"Als das Flugzeug in den belarussischen Luftraum einflog, begannen KGB-Offiziere ein Gerangel mit dem Ryanair-Personal", berichtete er. Sie hätten behauptet, an Bord sei eine Bombe. Nach den Informationen der auf die Flugverfolgung spezialisierten Internetseite Flightradar24 wurde die Boeing über belarussischem Gebiet, kurz vor der Grenze zu Litauen, abgefangen.
Über Nexta waren nach der von massiven Betrugsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl in Belarus im vergangenen August hunderttausende Demonstranten mobilisiert worden. Die monatelang andauernden Proteste hatten sich später abgeschwächt.
Die Sicherheitskräfte waren gewaltsam gegen die Demonstranten vorgegangen, mehrere Menschen wurden getötet, es gab Massenfestnahmen und Folter von Inhaftierten. Mehr als 400 Demonstranten wurden zu Haftstrafen verurteilt.
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Agence France-Presse