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Lieferando als Arbeitgeber - Eindrücke eines Angestellten (Bild: ©wayhomestudio)

Der Lieferdienst ist nahezu überall präsent. In der Stadt wird man von orangenen Rucksäcken überholt oder im Fernsehen läuft Werbung für eine bequeme Bestellmöglichkeit. Frei von Kritik ist der Lieferando jedoch nicht. Wir haben uns ein Bild von den Arbeitsbedingungen gemacht.

Münster: Lieferando ist die Nummer Eins, wenn es um die Bestellung von Essen geht. Jeder kennt den Lieferdienst, und viele nutzen den Service. Doch es kommt auch immer wieder Kritik auf. Die größte Plattform in Deutschland für Essensbestellungen nimmt allein 13 Prozent aller Umsätze für die Nutzung der App und stolze 30 Prozent, wenn ein Fahrer von Lieferando das Essen ausliefert. Insbesondere in der Corona-Krise machte das vielen Restaurants zu schaffen, da Lieferungen die einzige Einnahmequelle darstellten. Deshalb lautet der Appell vieler Restaurants: Kauft direkt bei uns und nicht über Lieferando!  

Doch wie verhält es sich mit den Arbeitsbedingungen als Fahrer*Innen beim Lieferdienst? Lieferando wirbt mit flexiblen Arbeitszeiten, die sich nach individuellen Präferenzen gestalten lassen, sowie mit einem guten Gehalt, das durch ein Bonussystem aufgestockt werden kann. Das alles wird als Job an der frischen Luft vermarktet, bei dem man zusätzlich fit bleibt. Insgesamt also ein vielversprechender Job?  

Wir wollen dem auf den Grund gehen. Dafür haben wir uns mit einem/einer Mitarbeiter*In von Lieferando zum Interview getroffen. Unter Zusicherung von Anonymität und Vertraulichkeit der Daten wurde einer Veröffentlichung von Teilen des Interviews zugestimmt. 

 

stadt4.0: Erzähl doch bitte einmal, wie bist du auf den Job bei Lieferando gekommen?

 

B: Also ich bin auf den Job gekommen, als ich mein Abitur angefangen hatte. Da durfte ich nur 450 Euro dazu verdienen. Und dann durch einen Kollegen von früher. Das ging ganz schnell, mit relativ wenig Aufwand.  

 

 

stadt4.0: Welche Kompetenzen oder Fähigkeiten musstest Du vorweisen können? 

 

B: Im Prinzip muss man nur Deutsch lesen können. Zusätzlich gibt es einen Fragebogen mit 10-15 Fragen, die beantwortet werden müssen. Fragen, die hätte jeder beantworten können. Alles online. Alles zurückschicken, und dann ging alles sehr schnell. 

 

 

stadt4.0: Wie sieht das mit vertraglichen Bedingungen bei Lieferando? Gibt es  einen Arbeitsvertrag und sonstige Formalitäten? 

 

B: Ja, ich hatte einen Arbeitsvertrag bekommen, also von Anfang an. Da war die maximale Stundenanzahl und die Minimumstundenzahl angegeben und wieviel ich verdiene. Also nichts wirklich auffällig Schlimmes. Ein wenig ärgerlich, dass ich meinen Vertrag zu Hause irgendwie verbummelt hatte und einen neuen bzw. eine Kopie des alten Vertrages haben wollte. Das konnten sie aber nicht, weil sie den auch verloren hatten. Das war das Komische zum Thema Verträge.

 

 

stadt4.0: Ok, ich verstehe. Wie lief denn die Bezahlung ab? Wie wurde da verfahren? 

 

B: (…) Also bis zum 15. wurde ausgezahlt. Also zwischen dem 10. und 15.des darauffolgenden Monats.  Also ganz normal, man bekam sein Geld auf sein Konto und die Stunden waren auf so einer App aufgelistet. Da konnte man selber einsehen, wieviel man gearbeitet hat und oder auch nicht. Das lief eigentlich zu Anfang immer sehr gut mit der Bezahlung. Nur gegen Ende,  da wurde immer weniger pünktlich gezahlt, oder es gab falsche Auszahlungen, also es wurde komplett falsch abgerechnet. 

 

 

stadt4.0: Und gibt es bei Lieferando so etwas wie ein Bonus-System? 

 

B: Ja das gibt es. Ich weiß jetzt nicht mehr die genaue Anzahl, aber ab einer gewissen Anzahl Bestellungen, die man ausgeliefert hat, bekam man 100 Euro Bonus. Das waren dann so zwischen 100 bis 200 Bestellungen. Das war dann  weiter gestaffelt. Desto mehr man schafft, desto höher war der Bonus. Bis zu einem gewissen Punkt. Aber für mich hat es leider nichts gebracht, da ich ja eine Einkommensgrenze hatte von 5400 Euro durch mein BaföG bedingt

 

 

stadt4.0: Und das Trinkgeld zählt ebenfalls als Bonus? Wird das mitgezählt oder ist das ausgeschlossen vom eigentlichen Lohn?  

 

B: Das war zum Glück ausgeschlossen und gehörte uns. Man bekam pro Stunde 2-3 Euro. Also es gab auch schlechte Tage, da bekam man nach 5 Stunden so 2 Euro und es gab gute Tage, da bekam man nach 2 Stunden schon 10 Euro. Es waren immer so zwischen null und 20 Euro, mehr habe ich auch nie bekommen.

 

 

stadt4.0: Wie sieht es denn aus mit den Arbeitszeiten? Wieviel muss man pro Woche, pro Monat arbeiten? Gab es da Regelungen? 

 

B: Also am Anfang gab es diesen „Shift- Plan“, so hieß das. Da konnte man seine Verfügbarkeit eintragen und seine Abwesenheit. Und man musste auf jeden Fall mindestens, also ich als Mini-Jobber musste 12,5 Stunden schaffen in der Woche um auf mein Geld zu kommen. Aber man musste mindestens sieben Stunden eintragen, dass man verfügbar ist. Jede Woche. Also wenn ich weniger gemacht habe, dann haben sie mir eine Nachricht geschickt, du hast zu wenig Verfügbarkeiten eingetragen. So, war das eigentlich relativ ok, fand ich, weil man war schon sehr flexibel und man hat auch relativ gut Schichten bekommen zu den Zeiten die man angegeben hat. Aber dann wurde das geändert zu dem Programm „Road Runner“ hieß das dann, (…) da musste man sich dann Schichten auswählen, die gestellt worden sind. Aber man hatte dann so viele Fahrer zu der gleichen Zeit, die dieselben Schichten auswählen, dass man darum gekämpft hat. Oder man bekommt gar keine Schichten, das gibt’s auch, sehr viel. 

 

 

stadt4.0: Ist man da dann so ein bisschen auch auf Abruf gefahren? Also, dass du so zusagen, wenn Kapazitäten waren und Fahrer gebraucht wurden, dass du dann einspringen musst oder war das gut planbar? 

 

B: Mir ist das noch nie passiert. Die haben mich bisher nie persönlich angeschrieben oder angerufen und gefragt, ob ich jetzt einspringen könnte im Notfall oder so. Ich kann sehr spontan immer fahren, das muss man denen lassen. Man kann jetzt auch Schichten so spontan auswählen, so zwei Stunden vor Beginn und wenn man wollte, konnte man die nehmen oder nicht, das war recht flexibel. 

 

 

stadt4.0: Und wenn du jetzt unterwegs bist in der Stadt, brauchst du ja gewisse Arbeitsmaterialien, Arbeitskleidung, das Fahrrad. Musst du das selbst stellen oder wird  euch das gestellt? 

 

B: Also Arbeitsklamotten werden gestellt. Sowas wie Regenjacken, eine kleine Filzjacke, ein Helm, der Rucksack natürlich. Die Regenjacken sind keine echten Regenjacken, das sind normale Jacken. Also man war bei Regen komplett nass hinterher, und wenn das Handy nicht wasserfest war, dann war das danach auch kaputt.

Mein Fahrrad musste ich selber stellen, da habe ich jetzt nicht das große Problem, weil ich ohnehin lieber mit meinem Fahrrad als mit einem fremden Fahrrad fahre. Aber wenn man jetzt eine neue Jacke brauchte oder eine neue Tasche, dann hat das immer sehr lange gedauert bis man überhaupt eine bekam. Die haben immer versucht das Problem erst einmal zu ignorieren. Nach dem zweiten, dritten Mal nachdem man dann schreibt, kam:  „Ok wir schicken dir eine zu“. 

 

 

stadt4.0: Also immer mit sehr viel Aufwand? 

 

B: Ja, weil Alles über E-Mail geht, man hat ja keinen persönlichen Ansprechpartner. Man muss immer schreiben und warten erstmal warten. Und ich habe mich schon bemüht in einem richtig guten Deutsch zu schreiben, so einfach wie möglich und so wenig wie möglich, damit die das sofort verstehen. 

 

 

stadt40 – Das Bürgernetzwerk bedankt sich für die Offenheit beim Interview und das uns entgegengebrachte Vertrauen.

 

 

 

In anderen Teilen des Interviews, die wir leider nicht veröffentlichen dürfen, haben wir zudem über Arbeitskollegen, Vorgesetzte, das Klima innerhalb des Unternehmens und Sanktionen gesprochen. 

 

Insgesamt ergibt sich ein vielschichtiges Bild. Während die Flexibilität bei der Arbeit und das Fahrradfahren als sportliche Betätigung an der Natur positiv hervorgehoben wurden, kritisiert der/die Interviewte in erster Linie die Unternehmensstruktur. Keine persönlichen Ansprechpartner bei Problemen und Fragen, sowie unfreundliche Vorgesetzte deuten auf eine schlechte Unternehmenskommunikation hin. Außerdem ist die mangelhafte Ausstattung bei widrigen Wetterbedingungen ein deutliches Minus, insbesondere weil auch Reparaturen und ähnliches auf das Konto der Angestellten gehen, sodass insgesamt der Lohn niedriger ist, als erwartet. Schauen wir auf den Börsengang der  Muttergesellschaft von Lieferando "Takeaway" oder die Übernahme von Delivery Hero, Muttergesellschaft von Lieferheld für circa eine Milliarde Euro, hinterlässt dies einen faden Beigeschmack.