Von Lignocellulose bis Power-to-X
Der erste Tag stand im Zeichen der Bioraffinerien. Kurt Wagemann vom Verband Dechema gab einleitend einen Überblick über den Stand der Technik. Kommerziell im Einsatz seien demnach bereits Bioraffinierien, die Zucker, Stärke, Pflanzenöle oder Lignocellulose verwerten.
Pilotanlagen existierten für Bioraffinierien auf Basis von fermentierbaren Zuckern und Lignin aus Lignocellulose, Gras und Synthesegas. Eher im Labormaßstab angesiedelt sind demnach Bioraffinerien, deren Rohstoffe Algenlipide oder Biogas sind. Attraktiv seien dabei Anlagen, die mehrere Produkte herstellen und dabei die Rohstoffe optimal ausnutzen, hieß es. Das habe allerdings eine praktische Schwierigkeit, da sich die jeweiligen Märkte und damit Nachfrage und Preis unterschiedlich entwickelten.
Hinsichtlich der in Bioraffinierien genutzten Mikroorganismen und Enzyme sagte Wagemann: „Wir hätten noch produktivere und robustere Organismen.“ Ausführlicher stellte der Experte zudem das Projekt „Volatile“ vor, das sich mit der Nutzung der volatilen Fraktion in Bioraffinieren beschäftigt, sowie das Projekt „Kopernikus“, das Anlagen mit CO2 und Strom als Rohstoffen untersuchen soll. „Power-to-X-Projekten wird in der Zukunft eine große Bedeutung zukommen“, prognostizierte Wagemann. Daher spreche er auch nicht von Dekarbonisierung, sondern von Defossilisierung.
4% der Biomasse für chemische Produkte
Auch Michael Duetsch von UPM Biochemical unterstrich, dass künftig fossile Kohlenstoffquellen nicht nur durch Biomasse, sondern auch durch Wiederverwendung und Wiederverwertung von Kohlenstoff sowie durch CO2 ersetzt werden. Prognosen für das Jahr 2050 sähen den Kohlenstoffbedarf lediglich zu 20% durch Biomasse gedeckt. 25% kämen CO2 zu, der Rest dem Recycling.
Damit würde der Bedarf der chemischen Industrie an Biomasse von heute einem Prozent der verfügbaren Menge auf drei bis vier Prozent im Jahr 2050 steigen, aber weiterhin marginal und damit nachhaltig bleiben. Abschließend präsentierte Duetsch die Pläne für die in Leuna entstehende Bioraffinerie von UPM, die aus Holz und Sägeabfällen Industriezucker, funktionale Füllstoffe sowie Ethylen- und Propylenglykol produzieren soll. Insbesondere die Füllstoffe seien dabei nicht nur nachhaltiger, sondern auch funktional den etablierten petrochemischen Alternativen überlegen, nicht zuletzt durch ihr geringeres Gewicht bei gleicher Stabilität.
Mehrjährige Gräser und Holzreste als Rohstoff
Asli Hanci von Biowert Industrie präsentierte eine noch junge Bioraffinerie, die mehrjährige Gräser als Rohstoff nutzt. Gras sei ein schnell wachsender Rohstoff, fast überall in der Welt verfügbar und könne vier Mal im Jahr geerntet werden – wenngleich nur zwei der Ernten die erforderliche Qualität aufwiesen. Außerdem sei die Cellulose vergleichsweise einfach zu extrahieren und weitgehend frei von Lignin.
Drei Produkte entstehen daraus: thermisches Dämmmaterial, Granulat für die Kunststoffherstellung und Dünger. Was dann vom Gras noch übrig ist, wird genutzt, um Wärme und Strom zu erzeugen. Cellulosebasierte Kunststoffe seien nicht nur energieeffizient und vollständig wiederverwertbar, sondern hätten auch einen viel geringeren ökologischen Fußabdruck als petrochemische Alternativen, insbesondere hinsichtlich der Belastung der Süß- und Salzwasserökosysteme.
Was alles aus holzbasierter Cellulose und Hemicellulose hergestellt werden kann, erläuterte Peet Pitk von Graanul Biotech. Schon das Rohlignin des Unternehmens habe einen Reinheitsgrad von 88%, sei geruchlos und besitze Partikelgrößen unter 20 Mikrometer. Nach einer Säurebehandlung erreiche das Unternehmen sogar eine Reinheit von 95%. In der Bioraffinerien werden vor allem C5- und C6-Zucker gewonnen, die beispielsweise zu Isobuten weiterverarbeitet werden. Im Projekt „Sweetwoods“ entstehen aus dem Lignin außerdem Biokomposite und Schaumstoffe.
Biotechnologie verändert viele Branchen
Ein zweiter Fokus der Konferenz lag auf der Biotechnologie und ihren Prozessen. So erläuterte Stefan Buchholz von Evonik am Beispiel einiger biotechnologischer Konzernprodukte, wie diese den Markt veränderten und warum die Biotechnologie ihn weiter verändern werde. Dazu zählten Aminosäuren, die Futtermittel aufwerten und so den Gesamtbedarf an Futtermitteln reduzieren, Probiotika, die Geflügel gesünder halten und so den Antibiotikabedarf drosseln sowie Öl aus Mikroalgen, das vermeidet, dass für jedes Kilo erzeugter Lachs den Tieren zuvor drei Kilo Fisch gefüttert werden muss. Weitere Beispiele waren Lipid-Nanovesikel für die Verabreichung von mRNA-Wirkstoffen in der Medizin, spezielle Nährmedien für medizinische Zellkulturen, Ceramide für die Hautpflege, Biotenside und zukünftig Systeme für eine künstliche Photosynthese.„Biotechnologie ist ein Schlüsselwerkzeug, um nachhaltige Produkte zu entwickeln und zu helfen, die Lücke zu einer CO2-neutralen Produktion zu schließen“, resümierte Buchholz.
Weitere Beispiele des Tages umfassten aus pflanzlichen Nebenströmen hergestellte Aromastoffe und maßgeschneidertes Lignin unter anderem für Kosmetika. Die Prozesstechnik rückte nicht nur bei der mikrobiellen Elektrosynthese in den Vordergrund, mittels derer Basischemikalien hergestellt werden können, sondern auch beim Thema Enzyme, deren Maßfertigung noch einmal die Effizienz von biotechnologischen Prozessen erheblich steigern kann. Den Abschluss der Konferenz bildete eine virtuelle Führung durch die Grasfabrik von Biowert Industrie.
Bioökonomie / bl
Foto: Pete Linforth/Pixabay. Gras ist einer der möglichen Rohstoffe von Bioraffinerien.