Ina
Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung
des Landes Nordrhein-Westfalen und Carolina Trautner, Bayerische
Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales verurteilen die
Entscheidung des türkischen Präsidenten, das Übereinkommen des
Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und
häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) zu kündigen. Sie haben deshalb
einen gemeinsamen Antrag für die diesjährige Konferenz der
Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister, -senatorinnen
und -senatoren der Länder (GFMK) am 23. und 24. Juni 2021 verfasst.
Darin fordern sie die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene
auf einheitliche Schutzstandards in den Bereichen Prävention, des
Opferschutzes und der Strafverfolgung einzusetzen sowie auf eine
grenzüberschreitende Zusammenarbeit hinzuwirken.
„Die Istanbul-Konvention ist ein Meilenstein auf dem Weg, Mädchen und Frauen vor den unterschiedlichsten Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt und vor häuslicher Gewalt zu schützen. Die Kündigung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt durch die Türkei verurteilen wir scharf. Es ist unsere Pflicht dafür Sorge zu tragen, dass die jahrzehntelangen Errungenschaften im Bereich der Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen in der Europäischen Union nicht vergebens sind. Die Kündigung der Konvention wird der Türkei und den Frauen in der Türkei ein wichtiges Instrument im Kampf gegen Gewalt entziehen“, erklären Ina Scharrenbach, Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen und Carolina Trautner, Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales.
„Wir empfinden solidarisch mit den Frauen in der Türkei sowie Frauen in allen europäischen Ländern, mit den Betroffenen von häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt wie Zwangs- und Frühverheiratung und Gewalt im Namen der sogenannten Ehre oder mit Betroffenen von Gewalt im Kontext von Migration und Flucht. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich im Europäischen Rat aktiv für die Ratifikation der Istanbul-Konvention durch die Europäische Union sowie für die Ratifikation des Übereinkommens durch alle Mitgliedstaaten der europäischen Union einzusetzen. Nur so können wir häusliche und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen europaweit effektiv verhüten und bekämpfen“, so die Ministerinnen weiter.
Die angekündigte Kündigung der Istanbul-Konvention durch die Türkei wird die Rechte der Frauen dieses Landes auf Schutz vor Gewalt, Unterstützung bei Gewaltbetroffenheit und Strafverfolgung der Täter und Täterinnen massiv beeinträchtigen. Im Lichte des grundlegenden Rechts aller Frauen auf ein Leben ohne Gewalt ist dies eine verheerende Nachricht.
Vor dem Hintergrund der Maßgaben der Istanbul-Konvention haben die Landesregierung Nordrhein-Westfalen und die Bayerische Staatsregierung im Rahmen ihrer Regelungskompetenz in dieser Legislaturperiode in erheblichem Maße in die Verbesserung des Gewaltschutzangebotes investiert. Dadurch konnten die Akutschutz- und Beratungseinrichtungen für von Gewalt betroffene Frauen besser aufgestellt werden. Ein flächendeckendes Netz an Frauenhäusern, Frauen- und Fachberatungsstellen in beiden Bundesländern gewährleistet einen umfassenden Schutz vor häuslicher Gewalt. Darüber hinaus haben Nordrhein-Westfalen und Bayern umfassende Gesamtstrategien zum Opferschutz und zur Gewaltprävention aufgelegt, um die Unterstützungsinfrastruktur bedarfsorientiert und zielgerichtet weiterzuentwickeln.
Hintergrund:
Auszug aus dem GFMK-Antrag von Nordrhein-Westfalen und Bayern: „Um Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu verhindern und zu eliminieren, bittet die GFMK, dass sich die Bundesregierung im Rat der Europäischen Union gemeinsam mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Parlament für Maßnahmen zur Schaffung von einheitlichen Schutzstandards auf europäischer Ebene in den Bereichen Prävention, des Opferschutzes, der Strafverfolgung und einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit einsetzt, soweit eine Kompetenz der Europäischen Union dafür besteht. Die GFMK begrüßt daher die Absicht der Europäischen Kommission, einen neuen Vorschlag zur Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt vorzulegen und verbindet damit die Erwartung, dass hierbei auch die Inhalte der Istanbul Konvention im Rahmen des Möglichen eingebracht werden. “
Das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – auf Grund seines Verabschiedungsortes auch kurz Istanbul-Konvention genannt – ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der am 11. Mai 2011 von 13 Mitgliedstaaten des Europarats unterzeichnet wurde. Das Übereinkommen verpflichtet die beigetretenen Staaten zu umfassenden Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Opferschutz, Strafverfolgung sowie der behördenübergreifenden Zusammenarbeit. Gemäß Art. 66 wird die Durchführung des Übereinkommens durch eine unabhängig eingesetzte Expertengruppe des Europarats („GREVIO“) überwacht.
Bislang wurde die Istanbul-Konvention von 34 Staaten ratifiziert, die Türkei hatte die Istanbul-Konvention als erster Mitgliedstaat des Europarats im Jahr 2012 ratifiziert, die Bundesrepublik Deutschland am 12. Oktober 2017. Noch nicht alle Mitgliedstaaten des Europarats (Armenien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Republik Moldau, Slowakische Republik, Tschechische Republik, Ungarn, Ukraine, Vereinigtes Königreich, Europäische Union) haben die Istanbul-Konvention bis dato ratifiziert.
In der Bundesrepublik Deutschland ist das Übereinkommen am 1. Februar 2018 in Kraft getreten. Im Februar 2020 wurde das mehrstufige Monitoringverfahren für Deutschland eröffnet. An der Erstellung des 1. GREVIO-Staatenberichts zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland haben der Bund und die Bundesländer gemeinsam mitgewirkt, die Vorlage beim Europarat erfolgte am 31. August 2020. Das weitere GREVIO-Evaluierungsverfahren sieht unter anderem einen Staatendialog, einen Länderbesuch einer GREVIO-Delegation, und einen GREVIO-Bericht vor.
Eine europaweite Befragung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte („Violence against women: an EU-wide survey“, FRA 2014) hat ergeben, dass jeder dritten Frau ab dem Alter von 15 Jahren bereits körperliche und/oder sexualisierte Gewalt widerfahren ist. 22 Prozent der Frauen in der Europäischen Union waren Opfer häuslicher Gewalt, 55 Prozent der Frauen in der Europäischen Union wurden schon mindestens einmal seit dem 15. Lebensjahr sexuell belästigt. Dunkelfeldstudien wie die landesweite Befragung zu „Sicherheit und Gewalt“ der Landesregierung Nordrhein-Westfalen zeigen, dass die Anzahl nicht angezeigter Straftaten von Gewalt an Frauen, das sogenannte Dunkelfeld, weitaus größer ist.
Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen und das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales
Foto: Land NRW / Ralph Sondermann Ministerin Scharrenbach und Staatsministerin Trautner: Austritt der Türkei aus Istanbul-Konvention verurteilen wir scharf – Frauen müssen weiter geschützt werden