Zahlreiche
Staats- und Regierungschefs gingen den ungarischen Ministerpräsidenten
Viktor Orban am Donnerstag hart an. Der niederländische Regierungschef
Mark Rutte stellte sogar die Mitgliedschaft Ungarns in der Europäischen
Union in Frage.
"Wir haben hier alle sehr deutlich gemacht, welche grundlegenden Werte wir verfolgen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach dem Ende des ersten Gipfeltages in der Nacht zum Freitag. "Es war durchaus eine kontroverse, aber sehr, sehr ehrliche Diskussion."
"Diesmal geht es zu weit", sagte Rutte nach Angaben aus EU-Kreisen in der rund zweistündigen und demnach zum Teil "emotional" geführten Debatte zu Orban. Er rief den ungarischen Regierungschef auf, wie Großbritannien ein Austrittsverfahren nach Artikel 50 des EU-Vertrags einzuleiten, wenn er die europäischen Werte nicht achten wolle. Eigene Mittel zum Rauswurf eines missliebigen Mitgliedstaats hat die EU nicht.
Scharf ging auch der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel mit Orban ins Gericht. Bettel lebt selbst offen schwul und ist mit seinem Partner seit 2015 verheiratet. "Du hast eine rote Linie überschritten", sagte er nach Angaben aus EU-Kreisen zu Orban. "Das ist nicht das Europa, in dem ich leben möchte."
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte das Gesetz am Mittwoch als "Schande" bezeichnet. Ihre Behörde will demnach mit allen ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln dagegen vorgehen.
"Das war keine diplomatische Diskussion, das war ziemlich konfrontativ", sagte Belgiens Ministerpräsident Alexander De Croo. Er habe eine derartige Auseinandersetzung bei einem EU-Gipfel noch nicht erlebt. Lediglich Polen habe Ungarn unterstützt und Slowenien "ein wenig".
Die EU-Kommission habe ihrerseits klargemacht, "dass sie ein Vertragsverletzungsverfahren starten wird", sagte De Croo weiter. Dieses kann bis zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof führen.
Orban selbst lehnte es bei dem Gipfel ab, das Gesetz gegen "Werbung" für Homo- und Transsexualität zurückzuziehen. Er betonte, die vor rund zehn Tagen vom Parlament verabschiedete Neuregelung richte sich gar nicht gegen Homosexuelle. Vielmehr gebe sie Eltern lediglich das "exklusive Recht auf die Sexualerziehung ihrer Kinder".
Das Gesetz verbietet etwa Bildungsprogramme zu Homosexualität oder Werbung von Großunternehmen, die sich mit Schwulen oder Lesben solidarisch erklären. Auch Aufklärungsbücher zu dem Thema sind demnach untersagt. Offizielles Ziel ist der Schutz von Minderjährigen. Der ungarische Präsident Janos Ader hat die umstrittene Vorlage inzwischen unterzeichnet, sie tritt nach Veröffentlichung im Amtsblatt voraussichtlich im Juli in Kraft.
Beim Thema Grundrechte liegt Ungarn schon seit Jahren mit der EU im Clinch: Dabei geht es unter anderem um das Vorgehen der Regierung in Budapest gegen kritische Medien. Gegen das Land läuft deshalb ein Strafverfahren, das bis zum Entzug der Stimmrechte auf EU-Ebene führen kann. Bisher fehlte aber eine ausreichende Mehrheit unter den Mitgliedstaaten, um dies einzuleiten.
mt/noe
Martin TRAUTH / © Agence France-Presse