Die mangelnde Rücksicht auf Gesundheit und Psyche von Spielern kommt nach Ansicht von FIFPro-Generalsekretär Jonas Baer-Hoffmann "einem moralischen Bankrott gleich, wenn der ausschlaggebende Punkt nicht die Frage nach der Gesundheit der Spieler ist".
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung führte der Heidelberger die Rückkehr von Benjamin Pavard (Frankreich), Christoph Baumgartner (Österreich) und Danilo (Portugal) in EM-Spiele trotz möglicher Kopfverletzungen als Beleg für den "Unwillen des Fußballs an, sich angemessen mit Problemen auseinanderzusetzen".
Die Fortsetzung des Vorrundenspiels zwischen Dänemark und Finnland trotz Eriksens lebensbedrohlichen Zusammenbruchs wirft laut Baer-Hoffmann "immense Fragen" auf: Den Spielern "unter dem Schock oder Trauma die Verantwortung für die Entscheidung zu überlassen, ist nicht verantwortungsvoll".
Die FIFPro hatte die UEFA bereits nach Pavards Zusammenstoß im Gruppenspiel des Weltmeisters gegen Deutschland mit Robin Gosens hart kritisiert.
Nachdem Pavard selbst von vorübergehender Ohnmacht gesprochen hatte, beklagte die Spielergewerkschaft ausdrücklich eine eklatante Missachtung der von allen 24 EM-Teilnehmerverbänden unterzeichneten Gehirnerschütterungs-Charta mit der vereinbarten Auswechslung eines Spielers bereits beim Verdacht auf eine Gehirnerschütterung.
Zur Risiko-Reduzierung plädierte Baer-Hoffmann nochmals für die Einführung von temporären Auswechslungen. Beim Verzicht auf diese Möglichkeit hätten die Regelhüter des International Football Association Board (IFAB) "eine sehr bizarre Interessenabwägung" vorgenommen, "damit der Spielfluss nicht gestört wird - auf der anderen Seite steht die Gesundheit der Spieler".
Für die Interessenvertreter ist das laufende EM-Turnier außerdem nur ein weiteres Indiz für die Ausbeutung von Spielern. "Jeder Verband versucht, aus den Spielern das Letzte herauszupressen. Etliche Spieler spielen nahezu ausgebrannt, erschöpft. Kein Verband oder keine Liga ist bereit, Abstriche zu machen, wenn es um die eigenen Turniere geht", meinte Baer-Hoffmann.
Zu einem generellen Kurswechsel aus eigener Kraft sieht der 33-Jährige den Fußball nicht imstande: "Das Regelwerk des Sports existiert weitgehend ungestört in einem Paralleluniversum. Gleichzeitig hält der Sport die Standards nicht ein, die er sich selbst setzt. Das sehen wir aktuell insbesondere immer wieder in Menschenrechtsfragen. Der Wandel für einen neuen Sozialvertrag, der Interessen von Sport und Gesellschaft in der Balance hält, muss von außen kommen."
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