Trotz der in Großbritannien grassierenden Delta-Variante des Coronavirus treten in England am Montag weitreichende Lockerungen der bisherigen Restriktionen in Kraft. Unter anderem fallen die meisten Beschränkungen für große Versammlungen sowie die Maskenpflicht weg, auch Diskotheken dürfen wieder öffnen.
Die Regierung von Großbritanniens Premierminister Boris Johnson bestreitet, mit den Lockerungen auf eine sogenannte Herdenimmunität in der Bevölkerung zu setzen. Allerdings hat auch sie eingeräumt, dass die Zahl der täglichen Corona-Infektionen in den kommenden Wochen auf bis zu 100.000 steigen könnte. Dies könnte eine erhebliche Belastung der Krankenhäuser bedeuten.
Der neuseeländische Wissenschaftler Michael Baker sagte bei dem Wissenschaftler-Treffen, Großbritannien sei mit Blick auf die Corona-Impfkampagne ein internationales Vorbild gewesen. Deshalb sei es "bemerkenswert", dass die Regierung nun "die grundlegenden Prinzipien der öffentlichen Gesundheit" missachte.
Auch die taiwanische Professorin Chiou Shu-Ti zeigte sich irritiert. "In unserer Kultur gibt es ein Sprichwort, das besagt, dass es unethisch ist, den Menschen den Regenschirm wegzunehmen, solange es noch regnet", sagte sie. "Und jetzt regnet es sehr stark." Sie hege die "starke Befürchtung", dass die Lockerungen in England vor allem jüngeren Menschen sowie Vorerkrankten schaden könnten.
Das Wissenschaftler-Treffen war von den Autoren eines Protestbriefs organisiert worden, der in der vergangenen Woche im Fachjournal "The Lancet" veröffentlicht worden war und in dem Experten die britische Regierung dazu aufgerufen hatten, die angekündigten Lockerungen doch nicht umzusetzen. Ursprünglich hatten den Brief 122 Wissenschaftler unterzeichnet, inzwischen unterstützen ihn 1400 weitere Forscher.
Johnson hatte die umstrittenen Lockerungen mit der "hohen Wahrscheinlichkeit" begründet, dass die schlimmste Phase der Corona-Pandemie vorbei sei. Allerdings äußerten auch britische Experten ernste Bedenken angesichts der Pläne. "Ich denke, wir sollten die Tatsache nicht unterschätzen, dass wir überraschend schnell wieder Probleme bekommen könnten", warnte am Donnerstag der Chef der britischen Gesundheitsbehörde, Chris Whitty.
isd/ju
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