Hamburg - (ots) - Rehe leben scheu und zurückgezogen. Vor allem in den Dämmerungsstunden
werden sie aktiv und gehen auf Nahrungssuche. In der Paarungszeit, die
jetzt beginnt, ist alles anders. In der Rehbrunft fallen beim kleinsten
hirschartigen Wildtier in Deutschland alle Hemmungen: Dank der Hormone
gibt es kein Halten mehr. Sonst still und leise als Einzelgänger
unterwegs, wird von Mitte Juli bis in den August hinein gemeinsam Krach
gemacht: Der Bock verfolgt das Weibchen manchmal stundenlang. Er keucht -
denn Rennen ist anstrengend - und sie fiept in hoher Stimmlage zurück.
"Das schwülwarme Wetter und heftige Sommergewitter tragen noch dazu bei,
die tierischen Hormone in Wallungen zu bringen", sagt Dr. Andreas
Kinser, stellvertretender Leiter Natur- und Artenschutz der Deutschen
Wildtier Stiftung. "Es kann sein, dass Reh-Paare am helllichten Tag aus
dem Unterholz hervorstürmen und dabei vom Menschen keinerlei Notiz
nehmen."
Denn wie es bei Verliebten üblich ist: Wer auf Wolke sieben schwebt, nimmt seine Umwelt kaum noch war. Rehe sind jetzt blind vor Verlangen - und das ist hochgefährlich: "Gerade in der sommerlichen Rehbrunft kommt es häufig zu Autounfällen", sagt Kinser. Viele Autofahrer unterschätzen die Gefahr, die von den 15 bis 30 Kilogramm schweren Rehen ausgeht. "Bei einem Zusammenprall mit einem Auto, das rund 100 Stundenkilometer fährt, liegt das Auftreffgewicht bei über einer halben Tonne", sagt der Wildtierexperte. "Das ist lebensgefährlich für Mensch und Tier."
Alle Rehe werden im Sommer gezeugt.
Ziemlich genau 67 Tage nach der Geburt ihrer Kitze ist das weibliche Reh
wieder empfängnisbereit: doch das für kaum mehr als 48 Stunden. Ist die
Hochzeit vollzogen, macht sich der Bock auf die Suche nach der nächsten
paarungsbereiten Reh-Dame in seinem Revier, denn die Tage der Rehbrunft
müssen ausgenutzt werden. Im Körper der Weibchen spielt sich dagegen
jetzt ein kleines Wunder ab: Die Eizelle, die im Juli oder August
befruchtet wurde und sich danach in der Gebärmutter eingenistet hat,
teilt sich bis etwa zum Jahreswechsel nicht. Erst nach dieser
sogenannten Keimruhe beginnt die normale embryonale Entwicklung. "Durch
diesen schlauen Trick der Natur werden die Rehkitze dann mitten im
Wonnemonat Mai geboren", sagt Kinser.