Die Bundesregierung hat einer Impfpflicht in Deutschland eine klare Absage erteilt. Eine solche Pflicht soll es auch nicht durch die "Hintertür" geben, wie Vizeregierungssprecherin Ulrike Demmer am Montag in Berlin sagte. "Wir wollen aber alles tun, um eine Situation, wie wir sie im Frühjahr hatten, zu vermeiden", sagte sie mit Blick auf die damaligen hohen Infektionsraten. Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wandte sich gegen eine Impfpflicht.
Die aktuelle Lage biete trotz der noch niedrigen Zahlen Anlass zur Sorge, sagte Demmer. Der R-Faktor, der die Zahl der Ansteckungen durch einen infizierten Menschen beschreibt, sei derzeit hoch. Innerhalb einer Woche seien die Fallzahlen um 75 Prozent gestiegen. Wenn sich diese Entwicklung fortsetze, "müssen wir zusätzliche Maßnahmen ergreifen". Für die Überlegungen, was dann zu machen sei, sei es aber von Bedeutung, dass doppelt Geimpfte und Genesene "nicht mehr relevant zum Infektionsgeschehen beitragen", betonte Demmer.
Über die möglichen weiteren Maßnahmen werden nach Demmers Angaben die Chefs der Staatskanzleien beraten, auch eine Ministerpräsidentenkonferenz dazu soll es geben. Einen Termin dafür nannte Demmer aber nicht. Ziel der Bundesregierung sei es, die Menschen zu schützen und eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.
Auch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte im Deutschlandfunk: "Es wird keine allgemeine Impfpflicht geben." Sie vertrete die Auffassung, dass das nicht möglich sei. "Das hat zum einen etwas damit zu tun, dass diese Impfung auch noch nicht so lange auf dem Markt ist, und ich halte es auch nicht für geboten."
Gleichzeitig stellte Lambrecht klar, dass sie auch einer Impfpflicht für Mitarbeitende beispielsweise im Gesundheitswesen eine Absage erteilt. Impfverweigerer in Pflegeheimen oder Krankenhäusern könnten stattdessen verpflichtend regelmäßig getestet werden.
Lambrecht brachte statt einer Impfpflicht die Möglichkeit ins Gespräch, dass Ungeimpfte, die sich theoretisch impfen lassen könnten, künftig für Corona-Tests bezahlen müssen und diese "nicht mehr auf Kosten der Allgemeinheit" gehen.
Zum Vorstoß von Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) zu Einschränkungen für Nicht-Geimpfte verwies Lambrecht auf die im Grundgesetz verankerte Vertragsfreiheit. Diese erlaubt beispielsweise der Gastronomie bereits jetzt, nur Geimpfte zu bewirten.
Braun hatte der "Bild am Sonntag" gesagt: "Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte." Bei "Bild live" verteidigte er am Montag seine Haltung. Wenn es im Herbst wieder zu höheren Fallzahlen komme, dann sei es "die Ultima Ratio", Kontakte zu beschränken, um die Infektionen zu bremsen. Zwar könne generell mit der Akzeptanz von negativen Tests auch den Nicht-Geimpften viel ermöglicht werden. Aber wenn dies alles nicht reiche, dann müssten sich jene, die auf eine Impfung verzichteten, darauf einstellen, dass sie mit "Beschränkungen" konfrontiert werden könnten.
FDP-Chef Christian Lindner wandte sich gegen jegliche Impfpflicht. "Ich halte diesen Weg in Deutschland nicht für richtig, aber klar ist, dass wir handeln müssen", sagte Lindner im ZDF-Morgenmagazin. Er forderte unter anderem eine Fortsetzung der Test-Strategie.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch wandte sich gegen finanzielle Anreize des Staates zur Steigerung der Impfquote. "Gutscheine, Lotterie, Freibier sind der falsche Weg. Aufklärung, Werbung und klare, nachvollziehbare und verfassungskonforme Regelungen für Geimpfte und Genesene sind notwendig", sagte Bartsch, der auch Spitzenkandidat seiner Partei zur Bundestagswahl ist, der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (Dienstagsausgabe).
jp/cax
© Agence France-Presse