Münster - (SMS) - Der nächste Themenabend des Stadtarchivs am Donnerstag, 29. Juli, ist eingebunden in das bundesweite Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Der Vortrag der Historikerin Heike Scharbaum zu "Franz Branse und die Familie Hugo Hertz. Eine jüdische Familie zwischen Zwangsenteignung und Rückerstattung" erweitert die bisherigen Forschungsergebnisse und bietet eine neue Perspektive zur jüdischen Geschichte.
Die aktuellen Forschungsergebnisse beruhen auf der Auswertung des 2019 ins Stadtarchiv gelangten schriftlichen Nachlasses von Franz Branse (1896-1983). Dessen Enkelinnen schenkten diesen außergewöhnlichen Bestand dem Archiv. Die Erschließung des Bestandes übernahm ebenfalls Heike Scharbaum.
Branse war seit 1922 als Generalbevollmächtigter in der Firma des jüdischen Kaufmanns Hugo Hertz (1875-1937) tätig, seine Frau Aenne arbeitete dort als Sekretärin. Hertz handelte in Münster international mit Nutz- und Zuchtpferden, ab den 1930er-Jahren kam gewerblicher Grundstückshandel dazu. Der Firmensitz war an der Annenstraße 13-17.
Mit Beginn der NS-Zeit begann auch in Münster die systematische wirtschaftliche Ausgrenzung und finanzielle Ausplünderung jüdischer Geschäftsleute. Im Auftrag von Hugo Hertz wickelte Franz Branse Grundstücks- und Wertpapierverkäufe ab, um die notwendigen Mittel für die Auswanderung seines Sohnes Arthur Hertz zu beschaffen. Hugo Hertz wurde daraufhin von den NS-Behörden vorgeworfen, illegale Vermögensverschiebung ins Ausland zu praktizieren. Diese Schikane trieb ihn 1937 in den Freitod.
Fortan war es nun Franz Branse, an den sich Gestapo und Finanzbehörden wandten, um Zugriff auf das Hertzsche Vermögen zu erlangen. Mitten in seinen Vorbereitungen zur Auswanderung der Witwe Rosa Hertz wurde das Vermögen gesperrt. Rosa Hertz und ihren Kindern Arthur, Lotte und Erna gelang dennoch die Flucht in die USA.
Ihren Kontakt nahmen die Familien Hertz und Branse unmittelbar nach dem Krieg wieder auf. Der Briefwechsel mit Rosa Hertz begann schon im Januar 1946. Fortan vertrat Franz Branse ihre Interessen vor Privatpersonen und Behörden in Deutschland in sämtlichen Entschädigungs- und Rückerstattungsverfahren - bis in die 1970er-Jahre. Der persönliche Kontakt zwischen Franz und Aenne Branse und den Nachkommen von Hugo Hertz – insbesondere mit seinen Kindern Arthur und Erna - riss nie ab. Nach dem Tod ihrer Eltern führte Branses Tochter Maria Niester den Briefwechsel mit Erna Rosenberg, geb. Hertz, bis zu deren Tod 1998 weiter.
Dass mehr als 75 Jahre nach Ende der NS-Zeit noch Dokumente zur Ausplünderung und Verfolgung sowie zu den langwierigen Entschädigungsverfahren den Weg ins Stadtarchiv gefunden haben, ist einmalig, außergewöhnlich und überaus wertvoll für die vertiefende Forschung zu Münsters jüdischer Geschichte.
Welche Rolle Franz Branse für die Familie Hertz spielte und welche Bedeutung sein Nachlass heute hat, wird Heike Scharbaum beim Themenabend vorstellen. Der Vortrag wird eingeleitet durch ein Grußwort von Sharon Fehr, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Münster. Auch Andrei Kovacs, leitender Geschäftsführer des Vereins „321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ aus Köln, würdigt den Themenabend: „Wir freuen uns sehr über den Beitrag des Stadtarchivs Münster, er stellt eine Bereicherung des Festjahres dar“.
Info: Der Vortrag wird am 29. Juli ab 18 Uhr aus dem Stadtarchiv live im Internet übertragen und steht danach noch weitere 14 Tage zum Abruf bereit. Der Zugang ist über www.stadt-muenster.de/archiv oder den Link www.twitch.tv/stadtarchivms möglich.
Foto: Franz Branse im Jahr 1948 und ein Schreiben der Gestapo an Branse aus dem Jahr 1941.
Fotos: Privat. Montage: Stadtarchiv Münster.