Am
11. Dezember stimmten im münsteraner Stadtrat CDU,
SPD, FDP und AfD
gemeinsam
einem abgeänderten Bebauungsplan für die Hafenmarkthalle am
Hansaring zu. Somit ist beschlossen: Der bereits angefangene Bau des
Hafencenters, das das noch eher als Komplex typischer
Regal-Supermärkte geplant war, wird zu dem einer Markthalle
abgeändert. Lockt eine Exklusivität der nun zusätzlich geplanten
Wohnungen, Gastronomie, Banken und Büros Besserverdiener in das
Hafen- und Hansaviertel? Dies
könnte auf lange Sicht zu einem dortigen Anstieg der Einkaufs- und
Mietpreise führen, der die Mittelschicht verdrängt. Dann wäre die
aktuelle Angst vor einer Gentrifizierung berechtigt. Andererseits
könnten einige Überarbeitungen des Bauplanes bei richtiger
Anwendung eine Gemeinnützigkeit haben, von der auch die
Mittelschicht profitiert.
Der
Einfluss der SPD im Rat
Bevor
diese beiden Seiten einander dargestellt und abgewogen werden, gilt
es zunächst zu klären: Gingen die Planänderungen vom Investor des
Bauvorhabens - der Stroetmann Grundbesitz-Verwaltung GmbH & Co.
KG – selber aus? Oder war Stroetmann eher doch an bestimmte
Forderungen von Kommunalpolitikern der Münsteraner SPD und CDU
gebunden, damit diese für ihn das Bauvorhaben durch die Ratssitzung
am 11. Dezember brachten? Letzteres würde den Eindruck verhärten,
dass das Projekt Markthalle von eher politischer Seite durchgedrückt
wurde – zum Beispiel mit dem wirtschaftlichen Kalkül, gezielt
Besserverdiener in das Hafengebiet zu locken oder gar die dortigen
Preise in die Höhe zu treiben. Wie kam es also überhaupt dazu, dass
im Stadtrat Planänderungen abgestimmt werden mussten? Eröffnete
dies gewissen Parteien einen Einfluss, auf dem die Änderungen eher
beruhen könnten?
Eine
öffentliche
Beschlussvorlage des
Stadtplanungsamtes Münster für die Ratssitzung am 11. Dezember beschreibt den Weg zur Planabänderung
und Prüfung im Stadtrat wie folgt: Nach Prüfung eines eingereichten
Normenkontrollantrags habe das Oberverwaltungsgericht Nordrhein
Westfalen den eigentlich schon genehmigten Bebauungsplan als ungültig
eingestuft. Deswegen stoppte es im Februar 2019 den Bau des
Hafencenters, der bereits im Januar 2018 begann.
Seit dem Normenkontrollurteil habe „die Verwaltung“ Investor Stroetmann
„dabei unterstützt, die Überarbeitung des für unwirksam
erklärten Bebauungsplanes mit dem Ziel vorzunehmen, diesen
Bebauungsplan nach Behebung der vom Gericht gerügten Mängel wieder
in Kraft zu setzen.“ Die besagte öffentliche Beschlussvorlage
betont, dass „bereits die gutachterlichen Untersuchungen zu den
Themenbereichen Einzelhandel, Verkehr, Schallimmissionen und
Luftschadstoffe überarbeitet worden“ sind.
Demnach
dient die Einflussnahme des Stadtrates den gesetzlich verordneten
Verbesserungen bezüglich Infrastruktur, Wirtschaft und des Schutzes
von Bewohnern und Umwelt. Das unabhängige Münsteraner Online-Portal
„Widertäufer“ berichtet: Vor allem
Ratsfraktionschef
Michael Jung (SPD) übte gezielten Druck auf Stroetmann aus, um das
Konzept einer Hafenmarkthalle durchzusetzen. Jungs Möglichkeit dazu
rühre laut eines Artikels des Wiedertäufer-Redakteurs
Nils Dietrich daher, dass die SPD
wegen eines Zwists zwischen CDU und Grünen zum „Zünglein an der
Waage“ wurde: In der Pattsituation, in der die Grünen gegen das Hafencenter stimmten während die CDU das letztere
befürwortete, war Stroetmann von der Stimme der SPD wohl besonders
abhängig. So habe Ratsfraktionschef Jung die Zustimmung der SPD zum
revisionierten Bebauungsplan explizit an die Abänderung des
Hafencenters in eine Markthalle gekoppelt.
Neben dem Druck, mit dem Jung die Idee der Markthalle als
unverhandelbare Alternative persönlich ins Spiel brachte, muss
andererseits fairerweise bedacht werden: Er machte eine
Milieuschutzsatzung für das Hansa- und Hafenviertel zur notwendigen
Bedingung der SPD-Zustimmung.
Die
konkreten Neuerungen in ihren möglichen Folgen für Arme und
Reiche
Bieten
die Überarbeitungen des Bebauungsplanes spezielle Reize für
Besserverdiener, durch welche die Mittelschicht vertrieben wird? Oder
könnte von gewissen für den Hafenmarkt geplanten Angeboten auch der
Normalverbraucher profitieren – beispielsweise von einem bereiteren
Lebensmittelsortiment und von den neu hinzukommenden Wohnungen,
Parkmöglichkeiten und Betreuungs- und Pflegediensten?
Eine der
entscheidendsten Grundlagen dieser Abwägung ist der Wohnungsbau, der
auf dem Hafenmarktgebiet geplant ist: Für das Gelände sind „34
Wohnungen mit insgesamt ca. 3.000m Quadratmeter Fläche“ vorgesehen. Dabei sei
jedoch wegen „des bereits erfolgten Baubeginns [...] eine Förderung
nach den Wohnraumförderbestimmungen ausgeschlossen“. Zwar hat
Stroetmann zugesagt, trotzdem ein Drittel der Wohnungen so bauen zu
lassen, „dass sie den Vorgaben der Förderbestimmungen entsprechen“ und „förderfähig“ für finanziell ärmere Mieter sind.
Dennoch scheinen gewisse Änderungen des überarbeiteten
Bebauungsplan den direkten Anwohner des Hafenmarktes einen Luxus
anzubieten, von dem sich eine Mehrzahl von Bessergestellten angezogen fühlen
könnte.
So plant zum Beispiel Investor Stroetmann, die
Einzelhandelsflächen „vor allem mit Sortimentsschwerpunkte im
Bereich veganer, regionaler, lokaler sowie Bioprodukte“ zu füllen.
„Für die Kunden aus dem umliegenden Quartier“ werde vor Ort ein
Lieferservice eingerichtet, der die „eingekauften Waren per
Lastenfahrrad ins Haus“ bringt. Auch die geplante Ausgestaltung der
„insgesamt rund 4.860 Quadratmeter“ für „Dienstleistungs- und Büroflächen
sowie Gastronomieangebote“ könnte speziell Besserverdienende
anziehen: Unter Anderem sollen diese Flächen für „Bankfilialen,
Finanzdienstleister, Versicherungen, Freiberufler wie
Anwaltskanzleien, Notare, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Ärzte“
und „Therapeuten“ benutzt werden.
Ein warmes Nest für Wohlhabende, in dem ihre Wohnung, ihr
Arbeitsplatz wie Kanzlei oder Praxis und exklusive Geschäfte und
Speisemöglichkeiten mit Lieferservice möglichst bequem
zusammengelegt sind? Dem steht gegenüber, dass auf besagten Flächen
„auch nicht störende Gewerbebetriebe, Verwaltungsräume,
Ladenhandwerk wie Friseur, Reinigung, gesundheitliche
Dienstleistungen wie Pflegedienst, Orthopädie und ähnliches entstehen
können.“
Inwiefern
könnte die Mittelschicht von den Markthallen-Angebot auch
profitieren? Zunächst gibt es viele Studenten gibt, die aus
gesundheitlichen oder moralischen Gründen Bioprodukte oder vegane
Kost bevorzugen. Stroetmanns Ausrichtung des Warensortiments auf
diesen Bereich kann somit nicht als Luxus einer eitlen Klasse abgetan
werden. Entgegenkommend für den Mittelstand wäre auch, wenn die auf
dem Hafenmarktgelände geplanten Garagen - eine PKW-Tiefgarage und
eine Quartiersgarage für Fahrräder - das am Hansaring bestehende
Parkplatzproblem lösen. Die PKW-Tiefgarage wird zwar wohl nur den
Besuchern und Anwohnern des Hafenmarktgeländes vorbehalten sein.
Doch bezüglich der Fahrradstellplätze sei Stroetmann bereit, „über
die für die geplanten Nutzungen bauordnungsrechtlich
notwendigerweise zu errichtenden Stellplätze hinaus weitere
220
Stellplätze
anzubieten,
die als Quartiersgarage einen Beitrag zur Linderung des im
umliegenden Quartier herrschenden Parkdrucks
leisten.“
Viele
geplante Einrichtungen auf dem Hafenmarktgelände könnten der
Mittelschicht entweder einen großen Dienst erweisen, oder aber auch
im Gegenteil die Kluft zwischen arm und reich weiter
auseinandertreiben. Dies zeigt sich an zwei weiteren Beispielen:
Erstens an den beiden ebenfalls für den Hafenmarkt geplanten
Großtagespflegestellen für Kinder. Zweitens daran, dass einige der
erwähnten Wohnungen als „Pflegewohnungen“ eingerichtet werden
sollen, „die durch den ebenfalls im Plangebiet entstehenden
Pflegedienst versorgt und betrieben werden.“
Beide Angebote können den etwas ärmeren Familien helfen beim Finden
eines Platzes in der Kita, im Altenheim oder in der
Schwerbehindertenbetreuung. Dies schlägt ins genaue Gegenteil um,
wenn nur direkte Anwohner des Hafenmarktgeländes auf besagte
Angebote zurückgreifen dürfen und dort in der Tat nur Reichere
leben. Dann driftet die Zweiklassengesellschaft im Eindruck
auseinander, dass Betreuungs- und Behandlungsplätze für Arme
schwerer zugänglich sind und für die Wohlhabenderen exklusiv gebaut
werden.
Die SPD setzte durch, dass die von ihr geforderte
Milieuschutzsatzung bei der entscheidenden Abstimmung am 11. Dezember von
der CDU mitgetragen wurde. Anhand der Milieuschutzsatzung, deren
genaueres Konzept noch erarbeitet werden muss, „soll die
Luxussanierung von Wohnungen und die Umwandlung von Miet- in
Eigentumswohnungen verhindert werden.“
Doch ist dadurch nicht abgesichert, dass die Hafenmarktpreise der
Mittelschicht ausreichend erlauben, von den neu entstehenden
Wohnungen und Kinderbetreuungs- und Pflegemöglichkeiten annähernd
genauso stark profitieren zu können wie die Reicheren.
Fazit
Als
jemand, der selber seit 18 Jahren am Hansaring wohnt, erkenne ich vor
allem bezüglich des Warenangebots einige Vorteile im überarbeiteten Konzept: Das Baugebiet liegt direkt neben einem
Penny-Markt und 200 Meter von einem Rewe-Markt entfernt. Deswegen
sind Läden, die was Anderes bieten als das typische
Supermarktsortiment, dort eine willkommene Abwechslung. All zu viele
Gelegenheiten, Biokost oder frischen Fisch zu kaufen, bieten das
Hansa- und Hafenviertel nicht – und die von Stroetmann geplanten
Lebensmittelgeschäfte würden diese Lücke füllen.
Allgemein
muss darauf hingewiesen werden, dass die mit dem Hafenmarkt
hinzukommenden Dienstleistungen - je nach dem, wie stark die
Mittelschicht auf jene zugreifen darf - sowohl soziale und
ortsbedingte Probleme lösen als auch umgekehrt die Tendenz zur
Zweiklassengesellschaft verstärken können. So ließe sich über die
PKW-Tiefgarage ein wichtiger Schritt zur Behebung des am Hansaring
massiv vorhandenen Parkproblems gehen, wenn in ihr auch einige der
Bürger, die weder direkt auf dem Markthallengelände wohnen noch
dort einkaufen wollen, ihre Autos abstellen könnten. Dies gilt im
ähnlichen Sinne auch für die Hafenmarktangebote von Kinderbetreuung
und Pflege. Gerade für diese rissen wir an, wie schnell sich der
Normalbürger benachteiligt fühlt, wenn die Dienste, auf die er
existentieller angewiesen ist, nur für die Hafenmarktanwohner
ausgebaut werden. Sind derlei Angebote daran gebunden, sich dortige
teurere Wohnungen leisten zu können, steckt dahinter ein
Spaltungspotential, das eingedämmt werden sollte.
Reicht
es dafür aus, dass wie oben erwähnt ein Drittel der 34
Hafenmarktwohnungen den Förderbestimmungen entsprechen, obwohl wegen
des bereits begonnenen Baus eine Förderung nach den
Wohnraumförderbestimmungen nicht möglich ist? Der Druck, mit dem
Ratsfraktionschef Michael Jung seine Idee einer Markthalle gegenüber
Stroetmann „näher brachte“, hat eher Züge einer gezielten
Einflussnahme, die aus wirtschaftlich-politischem Kalkül auf einen
neuen Anziehungspunkt für Wohlhabende am Hafen drängt.
Die
Gefahr einer Gentrifizierung ist damit durchaus gegeben. Sie wird
aber andererseits zugleich abgemildert durch das deutlich
dominierende Studentenflair des Milieus. So befinden sich allein auf
dem Hansaringabschnitt vom Albersloher bis zur Emdener Straße
insgesamt mindestens sieben Lokalitäten (drei Kioske, drei
Café-Bistros und eine Kneipe), an denen sich regelmäßig junge
Studenten treffen. Sie bieten den Studierenden ein
alternatives Flair, an das ihre Geselligkeit gebunden ist. Deswegen
wird der Gastronomiebereich des Hafenmarktes sicherlich nicht die
Studenten aus den besagten sieben Lokalitäten wegziehen können. Die
Kioske, Café-Bistros und die Kneipe können somit kaum durch den
Hafenmarkt unter Konkurrenzdruck gesetzt und zu
Gentrifizierungs-Anpassungen (Preiserhöhungen) gezwungen werden.
Tobias Hachmann
Fotos: Jörg Bockow