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„Schönes Wetter heute“ oder: Was Liebe zum Detail alles bedeuten kann

Wenn man mit nicht „mainstreamgetötete“ Klassik den Blick in die Ferne konnotiert, wirkt der Blick aus dem Fenster so friedlich. Das schwache Sonnenlicht hinter einem Grauschleier verleiht der gigantischen nackten Trauerbuche Anmut und kapitalistischen Reminiszenzen die Ruhe, die sie eigentlich unmöglich macht.

 

Plötzlich erkennt man in sich das Schelling`sche Naturgesetz, von dem wir uns nicht trennen durften.Es gibt nicht die Natur und das Ich. Oder wie Fichte es gar postulierte: Das Ich und das Nicht-Ich. Natürlich hat er mit der Interpretation Recht, dass sich das Ich immer vom „Nicht-Ich“ bestätigen und in seine Schranken weisen muss, aber ich glaube nicht, dass es uns unmittelbar verbindet, sondern global.

 

 Wenn wir egoistisch handeln, uns also von der Natur emanzipieren, so wusste das Wunderkind aus 1775 im baden-württembergischen Leonberg schon, schaffen wir erst die notwendige Distanz, die es uns ermöglicht, die Natur „auszubeuten“ weil sie nicht mehr Teil von uns ist. Exakt das ist geschehen und macht diese Momente des Friedens, die ich just so genieße so selten.

 

Dialektisch gesehen, wird die Misshandlung folglich beinahe Ursache des Genusses, denn nur dann,   wenn etwas nicht selbstverständlich ist, fällt es uns auf, bleibt im Gedächtnis, bereichert unseren Geist. Das merken wir schon in unserer Sprache. Wenn ich beim Smalltalk viele Konsensvokabeln wie, Wetter, Essen und Natur verwende, sind sich beinahe alle Kommunikationspartner einig über den propositionalen (Wort-inhaltlich) und der semantischen Bedeutung.

 

Dies ändert sich allerdings schon dann, wenn man die Wortstellung verändert. Während meist die Phrase verwandt wird „Schönes Wetter heute“, entspricht der konversationale Gehalt, die Implikatur eine klare Botschaft – Nichts Auffälliges in meinem Leben grad am Start – und bei dir so?“ Und selbst dabei implizieren wir schon die Antwort, unsere Illokution, also Erwartungshaltung an den Kommunikationspartner ist ein „find ich auch“.

 

Verändert man bei der Eingangs erwähnten Frage allerdings nur die Struktur des Satzes, verändert sich gleich auch die Implikation. Während der propositionale Gehalt bei: Das Wetter ist heute schön“ gleich bleibt, sagt man in diesem Falle im Subtext mindestens, dass es einem in diesem Moment besonders auffällt, dass das Wetter eben „schön“ ist und nicht schlecht. Auch die Erwartungshaltung, also der perlokutionäre Akt, hat sich geändert. In diesem Falle ist die Antwort nicht klar erwartbar, der Sprecher legitimiert durchaus eine kontroverse Position, es interessiert ihn in diesem Falle wirklich, was sein Gesprächspartner zum Wetter und der von ihm gegebenen Hypothese, dass es schön sei, hält.

 

Aber ist das nicht schade? Wird Sprache und darüber hinaus die eigene Meinung nicht dazu gezwungen unique zu sein und wahrgenommen zu werden? Ist es dann nicht logisch, dass wir eigentlich nur eine beinahe anonyme Masse bilden, in der wir eigentlich ähnliche Ansichten haben? Was uns offensichtlich nicht reicht, denn wir sind ja schon mit dem Gedanken überfordert, sterblich zu sein, also endlich, muss man uns dann auch noch die Illusion nehmen, einzigartig zu sein, vielleicht sogar etwas über unser Dasein hinaus zu hinterlassen?

 

Ist es nicht genau dieser Drang, der uns eigentlich das ganze Leben versaut, weil wir vor lauter uns beweisen müssen, den Blick für den hedonistischen Genuss des Augenblicks verlieren? Wäre es nicht schöner, global unentdeckt eine Lebensspanne voll von Genussmomenten zu erleben, statt ewig mit dem Status quo zu hadern? Wem 'tuen' wir damit einen Gefallen? Oder anders gefragt? Würden wir der Erde und der Menschheit nicht einen größeren Dienst erweisen, wenn wir mehr zufrieden lächeln würden, statt uns vom Rest zu emanzipieren, um am Ende einen Dr. auf totem Stein zu lesen, statt selbst gepflückter Gänseblümchen an einem Bild zu finden?

 

Und plötzlich, hat sich der Grauschleier der Wolken verzogen und die Strahlkraft der Sonne nötigt mich zum Augen schließen und tief durchatmen, hedonistisch den Moment genießen, als erlebe ich ihn zum ersten Mal, immer wieder.

Foto: Ulf Münstermann