Der Wahlkampf zur Bundestagswahl am 26. September ist in diesem Jahr außergewöhnlich früh und intensiv gestartet. Um zu überprüfen, welche Positionen die Parteien vertreten, erfreuen sich Online-Wahlhilfen wie der Wahl-O-Mat großer Beliebtheit. Ein Team um Prof. Dr. Norbert Kersting und Jan Philipp Thomeczek vom Institut für Politikwissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster hat jetzt mit dem Wahl-Kompass die erste bundesweite Wahlhilfe zur Bundestagswahl veröffentlicht. Nachdem Nutzerinnen und Nutzer ihre Zustimmung oder Ablehnung zu 30 Thesen abgegeben haben, errechnet die Anwendung eine individuelle politische Position, vergleicht sie mit denen der unterschiedlichen Parteien und zeigt die prozentuale Übereinstimmung zwischen den eigenen Ansichten und der Parteiposition an. Die Wahlhilfe ist unter https://wahl-kompass.de zu finden.
Mit dem Wahl-Kompass wollen die Wissenschaftler dem wachsenden Bedürfnis der Bürger, sich schon jetzt mit den Parteipositionen auseinanderzusetzen, Rechnung tragen. Er greift dabei Kritikpunkte am Wahl-O-Mat auf und entwickelt das Konzept weiter. Zum Beispiel stehen zur differenzierten Beantwortung fünf statt drei Antwortkategorien zur Verfügung. Das Ergebnis wird nicht nur als prozentuale Übereinstimmung mit den Parteien, sondern zusätzlich auch als Position in einer zweidimensionalen politischen Landschaft dargestellt. So sortiert er zum einen auf der Längsachse entlang progressiv-ökologischer und konservativ-traditioneller Ansichten zur Gesellschafts- und Umweltpolitik, zum anderen unterscheidet er auf der Querachse danach, wie sehr Nutzer auf eine stärkere Umverteilung oder stärkere Eigenverantwortung im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik setzen.
Auf diesen Achsen sind auch die Parteien verortet. Alle Parteipositionen sind durch wörtliche Auszüge aus den Wahl- und Parteiprogrammen belegt, die entsprechenden Stellen sind in der Anwendung verlinkt. So können sich Interessierte im Anschluss vertieft mit dem Wahlprogramm auseinandersetzen. Im Wahl-Kompass sind alle Parteien, die einen Sitz im Europaparlament 2019 gewonnen hatten, vertreten. Die Anwendung ist im Rahmen des Projekts „Populism’s Roots: Economic and Cultural Explanations in Democracies of Europe“ (PRECEDE) an der Universität Münster entstanden, das die sozioökonomischen und kulturellen Wurzeln des europäischen Populismus untersucht.
Neben dem Wahl-Kompass haben die Politikwissenschaftler eine weitere Anwendung entwickelt, die den wachsenden Populismus in der Gesellschaft thematisiert. Den Polit-Kompass können Interessierte nutzen, um zu überprüfen, wie populistisch, rechts oder links die eigenen Positionen sind. Die Thesen im Polit-Kompass sind weniger stark auf den Wahlkampf fokussiert, da er einen allgemeinen Überblick über die politische Landschaft verschaffen soll. Die Positionen im Polit-Kompass basieren auf einer Befragung von Experten aus der Politikwissenschaft.
Bild: Der Wahl-Kompass errechnet die individuelle politische Position der Nutzer und vergleicht sie mit denen der unterschiedlichen Parteien. © WWU - Jan Philipp Thomeczek