stadt40: Seit etwa sechzehn Monaten dominiert Covid-19 die deutsche und internationale Gesellschaft. Unter dem Eindruck rückläufiger Zahlen und weitreichenden Öffnungen: wie sehen Sie die aktuelle Strategie der Bundesregierung, und welchen Plan verfolgt die SPD für das künftige Corona-Management, national und international?
Svenja Schulze (SPD): Diese Pandemie kann nur durch internationale Solidarität überwunden werden. Die Krise ist erst vorbei, wenn es global genügend Impfstoff gibt. Wir setzen uns daher für die finanzielle und substanzielle Förderung der globalen Corona-Impfkampagne der Weltgesundheitsorganisation (COVAX) ein. Unsere Schwerpunkte liegen auf dem Aus- und Aufbau öffentlicher Gesundheitssysteme, der Verbesserung des Zugangs zu Arzneimitteln und Impfstoffen, mehr Transparenz sowie auf der gesundheitlichen Bildung und damit einhergehend auf der Stärkung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte. Wir arbeiten auch daran, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO durch einen mutigen Reformprozess gestärkt wird.
Wir bemühen uns, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise bestmöglich durch verschiedene Maßnahmen abzumildern, etwa durch ein tragfähiges Kurzarbeitergeld. Der öffentliche Gesundheitsdienst braucht bessere Rahmenbedingungen, eine bessere Ausstattung, auch mit Blick auf die digitale Infrastruktur – Hardware ebenso wie Software, und eine konkurrenzfähige Vergütung. Durch die Corona-Krise wurde deutlich, dass die Abwanderung der Arzneimittelproduktion ins Ausland und die damit zunehmende Abhängigkeit zu Lieferengpässen oder gar Versorgungsengpässen führen kann
stadt40: Während der letzten anderthalb Jahre erhielten Umweltschutz und Klimawandel nur begrenzte Aufmerksamkeit, doch am 24. März 2021 hat das Bundesverfassungsgericht durch sein Urteil zum Klimaschutzgesetz, neuen Handlungsbedarf aufgezeigt. Welche Veränderungen strebt die SPD nach der Bundestagswahl an?
Svenja Schulze (SPD): Spätestens 2045 werden wir klimaneutral wirtschaften. Windkraft und Sonne sind unsere Energiequellen, unterstützt durch eine saubere Wasserstoffwirtschaft. Öffentliche Gebäude, Schulen und Supermärkte beziehen Solarstrom, und klimafreundliches Unternehmertum wird finanziell belohnt. Wir sehen in dieser Jahrhundertaufgabe riesige Potenziale für gute und sichere Arbeitsplätze. Deutschland ist erfolgreich als Exporteur umweltfreundlicher Technologien, weil es gelungen ist, Produktionsprozesse nachhaltig und die 20er zu einem Jahrzehnt der erneuerbaren Energien zu machen.
Den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft meistern wir, wenn wir wirtschaftlichen Erfolg zukünftig nicht nur am Bruttoinlandsprodukt messen, sondern am Wohlergehen der gesamten Gesellschaft und der Natur. Wir richten unsere Politik an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDG) aus und werden dazu die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie weiterentwickeln.
stadt40: Die Pandemie hat beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden hinterlassen und sowohl Privathaushalte, Unternehmen und öffentlichen Ausgaben unter Druck gesetzt. Wie möchte die SPD die deutsche, europäische und internationale Wirtschaft (mit)gestalten?
Svenja Schulze (SPD): Wir werden mit einer langfristig angelegten Industriestrategie Planungssicherheit für den sozial-ökologischen Umbau unserer Wirtschaft schaffen. Diese Industriestrategie wird in Verbindung mit dem European Green Deal in eine gesamteuropäische Lösung eingebettet sein. Mit Investitionen in unsere gemeinsame Wirtschafts- und Innovationskraft stärken wir Europa als den modernsten, sozialsten, nachhaltigsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt und sichern so die Grundlagen unseres Wohlstands. Damit schaffen wir die Voraussetzungen für ein souveränes Europa, das für soziale Gerechtigkeit, Wohlstand und Menschenrechte steht und sich geschlossen für eine gerechtere, friedlichere und nachhaltigere Welt einsetzt.
stadt40: Unterrichtsfälle während der vergangenen anderthalb Jahre haben die fehlende Digitalisierung an unseren Schulen offenbart. Außerdem haben viele Schüler einen großen Teil des Unterrichts verpasst oder nur in Teilen wahrnehmen können. Welche bundesweite Strategie strebt die SPD in den kommenden Jahren an?
Svenja Schulze (SPD): Durch die Einschränkung des Präsenzunterrichts während der Pandemie droht sich die Verbindung von Bildungserfolg und Familienhintergrund zu verfestigen und Bildungsbenachteiligungen zu verstärken. Aus diesem Grund starten wir die Bundesinitiative Chancengleichheit in der Bildung. Durch ein Bundesprogramm für Schulsozialarbeit werden den Kommunen Mittel zur Förderung von Chancenhelfern an jeder Schule bereitgestellt. Ein gutes Ganztagangebot ist entscheidend für gleiche Chancen – und das muss für alle Kinder zur Verfügung stehen. Ganztagsschulen sind Lern- und Lebensorte, wo gute Chancen für alle ermöglicht und sichergestellt werden. Schule erreicht jedes Kind, unabhängig von seiner Herkunft. Der Rechtsanspruch auf ein ganztägiges Bildungs- und Betreuungsangebot im Grundschulalter ist ein wichtiger Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit und zudem für viele Eltern der notwendige nächste Schritt in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, auf den sie dringend warten.
stadt40: Bereits vor der Pandemie galt unser Gesundheitssystem als unterbesetzt und überbelastet. Welche Probleme identifiziert die SPD jenseits der Pandemie, und welche Lösungen schlagen Sie vor?
Svenja Schulze (SPD): Gesundheit ist keine Ware, deshalb müssen in unserem Gesundheitssystem die Bürger*innen im Mittelpunkt stehen. Der Staat muss deshalb sicherstellen, dass die Leistungen der Gesundheitsversorgung den Bedürfnissen derer entsprechen, die sie benötigen. Gute Arbeitsbedingungen und vernünftige Löhne in der Pflege sind dafür eine wichtige Grundlage.
Professionelle Pflege ist ein höchst anspruchsvoller Beruf. Maßnahmen zur Überwindung des Personalmangels dürfen nicht dazu führen, dass die Stellen in der Pflege abgewertet werden. Wir wollen die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen beenden. Gewinne, die aus Mitteln der Solidargemeinschaft erwirtschaftet werden, sollen verpflichtend und weitestgehend wieder in das Gesundheitssystem zurückfließen
stadt40: Gesetzt den Fall, Ihre Partei würde den von Ihnen gewünschten Erfolg erlangen, welche Koalitionen wünschen Sie und die SPD sich? Gibt es Partner, die Sie von vornherein ausschließen oder ablehnen?
Svenja Schulze (SPD): Olaf Scholz ist der Kanzler, den das Land jetzt braucht. Die SPD hat den Anspruch, die nächste Regierung anzuführen. Die wichtigsten Zukunftsfragen müssen aus dem Kanzleramt gesteuert werden. Dabei kämpfen wir für Mehrheiten jenseits der Union. Wir schließen jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch aus.
stadt40: Sie als Kandidatin der SPD und derzeitige Bundesumweltministerin betonen auf Ihrer Website, wie wichtig der nachhaltige, ökologische Umbau der deutschen Wirtschaft ist. Auf welcher Art und Weise planen Sie und/oder die SPD, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit zu vereinbaren?
Svenja Schulze (SPD): In Deutschland werden wir die EEG-Umlage in der bestehenden Form bis 2025 abschaffen und aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Dazu dienen auch die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. Diese Maßnahme leistet einen Beitrag zur sozial gerechten Finanzierung der Energiewende, weil dadurch die Stromrechnung deutlich sinkt. Wir werden dafür sorgen, dass Bürger*innen mit niedrigen Einkommen nicht ins Hintertreffen geraten. Mit dem Ansteigen des CO2-Preises werden wir für weitere sozial gerechte Ausgleichsmaßnahmen sorgen. Einen Pro-Kopf-Bonus werden wir prüfen.
International werden wir mit unserer Handelspolitik die sozial-ökologische Transformation unterstützen. Dafür soll der Handel mit nachhaltigen Gütern besonders gefördert werden. Handelspolitische Maßnahmen auf einer werteorientierten Basis haben immer die Interessen der Partner mit im Blick, insbesondere die der weniger entwickelten Länder. Deshalb werden wir auch insbesondere kleinbäuerliche und agrarökologische Landwirtschaft fördern.
Wir bedanken uns bei Svenja Schulze für das Interview und die Informationen für unsere Leser. Wir wünschen Svenja Schulze und Ihrer Partei weiterhin viel Erfolg!
Bild: Copyright BMU/Sascha Hilgers