Durch die demografische Entwicklung nehme die Zahl der potenziellen Arbeitskräfte im typischen Berufsalter bereits in diesem Jahr um fast 150.000 ab, sagte Scheele. Das Problem lasse sich nur mit einer deutlich höheren Zuwanderung nach Deutschland in den Griff bekommen. "Wir brauchen 400.000 Zuwanderer pro Jahr. Also deutlich mehr als in den vergangenen Jahren", sagte Scheele weiter. "Von der Pflege über Klimatechniker bis zu Logistikern und Akademikerinnen: Es werden überall Fachkräfte fehlen".
Widerstand gegen Migration und die Zuwanderung von Arbeitskräften sei nicht zielführend, argumentierte Scheele. "Man kann sich hinstellen und sagen: Wir möchten keine Ausländer", sagte er. "Aber das funktioniert nicht".
Diskriminierungserfahrungen sind jedoch sowohl auf der Jobsuche als auch im Arbeitsleben alltäglich für viele Menschen mit Migrationsgeschichte, wie eine aktuelle Umfrage des Internetportals Indeed zeigt. Insgesamt 53 Prozent der Befragten mit Migrationsgeschichte gaben an, dass sie sich mehr oder weniger regelmäßig bei der Jobsuche benachteiligt fühlten. Nur 37 Prozent hatten dieses Gefühl noch nie. Besonders betroffen von Diskriminierung waren laut der Umfrage Frauen.
Auch nach dem Bewerbungsprozess hörte die wahrgenommene Diskriminierung jedoch nicht auf: 37 Prozent aller Befragten gaben an, für die gleiche Anerkennung im Job mehr tun zu müssen als andere. Besonders den 35- bis 44-Jährigen war dieses Gefühl zu 52 Prozent bekannt.
"Dass sich Menschen aufgrund ihres Namens, der Religion oder der Hautfarbe im Arbeitsleben diskriminiert fühlen, ist einfach ein Unding, aber leider alltäglich", erklärte der Indeed-Geschäftsführer für deutschsprachige Märkte, Frank Hensgens. "Menschen mit Migrationshintergrund müssen die gleiche Chance erhalten, im Berufsleben erfolgreich zu sein", forderte er.
Entscheidend sei neben Maßnahmen wie anonymisierten Bewerbungen und standardisierten Bewerbungsverfahren auch, dass sich Führungskräfte ihrer Vorurteile bewusst würden, erklärte Hensgens. Nur so lasse sich "einer diskriminierenden Personalauswahl und -entwicklung in jeglicher Hinsicht" vorbeugen.
Noch vor dem Bewerbungsprozess steht jedoch für viele Arbeitskräfte aus dem Ausland die bürokratische Hürde der Anerkennung des eigenen Berufsabschlusses. Zwar stieg die Anzahl der anerkannten Abschlüsse im Jahr 2020 im Vorjahresvergleich leicht um fünf Prozent auf rund 44.800 an, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Die Anzahl der Neuanträge sank jedoch gleichzeitig ab: Um drei Prozent, auf insgesamt 42.000 Anträge.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) wertete die Zahlen dennoch als Erfolg: "Die Nachfrage nach Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen ist 2020 trotz Corona-Krise auf hohem Niveau geblieben", erklärte sie. Das seit März 2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das beispielsweise beschleunigte Verfahren bei der Anerkennung ausländischer Berufsabschüsse vorsieht, habe sich auch in der Corona-Pandemie bewährt.
Aus der FDP-Bundestagsfraktion kam hingegen Kritik an dem Gesetz. "Große Konzerne können international Talente rekrutieren, aber ein mittelständischer Handwerksbetrieb hat diese Möglichkeit nicht", erklärte FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. Er forderte ein "vernünftiges, attraktives Einwanderungsrecht, das den Arbeitsmarkt stärkt und den Menschen eine Perspektive bietet".
Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) betonte am Dienstag die Relevanz von Zuwanderung für den deutschen Arbeitsmarkt. Für den Aufschwung nach der Pandemie sei Zuwanderung unerlässlich. "Die gezielte Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland kann uns dabei helfen, mit Schwung aus der Krise zu kommen", erklärte IW-Expertin Kristina Stoewe.
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