2019 neigt sich dem Ende und viele freuen sich, dass sie heute Abend endlich in den Händen halten können, was sie sich in den letzten vier Wochen nicht selbst schenken durften. Was ist das also, das Weihnachten so besonders macht und vor allem: warum hat es trotz rapide sinkenden Gläubigenzahlen so Konjunktur?
Man könnte es allein auf den ökonomischen Faktor schieben, dass Weihnachten und sukzessive immer mehr Feste mit Geschenken begangen werden, auch jene, deren Bedeutung man nicht (mehr) kennt. Mein Eindruck ist, dass die Menschen sich nach Geborgenheit sehnen und sich von Weihnachten erhoffen, sich ein bisschen Liebe kaufen zu können.
Natürlich würde das keiner so sagen, aber ist es in Wahrheit nicht so? Erhoffen wir uns nicht von einem Geschenk, dass es mit Freude aufgenommen und mit einer Umarmung goutiert wird? Machen wir nicht das ganze Theater mit Kartoffelsalat und Würstchen, Gans, Raclette oder Fondue nicht, um ein bisschen von der heilen Welt zu erhaschen, die uns die Werbung ständig vorgaukelt? Einige mögen jetzt einwenden, dass sie mit Weihnachten nichts am Hut haben und ihnen die ganze Schenkerei eh auf die Nerven geht, aber ich glaube, dass es mehr die bereits geahnte Enttäuschung über einen misslungenen Abend die Freude darauf versaut, sodass man lieber erst gar nicht den Versuch unternimmt, mal wieder die Seele zu pinseln.
Vielleicht ist es diese Utopie des „alles ist immer möglich“, die dafür verantwortlich ist, dass die meisten Geschenke nur für ein kleines Mundwinkelzucken reichen. Und da man weiß, dass es eh beinahe unmöglich scheint, das Richtige für den jeweils zu Beschenkenden zu ergattern, versucht man die fehlende Qualität mit preislicher Quantität zu kompensieren. Ganz nach dem Motto: „Sieht vielleicht schlecht aus, aber war teuer, wirst schon sehen, wenn Du es umtauschst.“
Diese unausgesprochene Botschaft wird eindeutig uneindeutig mit der Übergabe des Präsentes samt Kassenbon für den Umtausch überreicht: Fröhliche Weihnachten. Und während der Nachwuchs noch am Lerngegenstand käuflicher Liebe seinen Spaß hat, gehen „Mom und Dad“ bei geheucheltem „Oh Du Fröhliche“ von Alexa, gedanklich die virtuellen Regale von Amazon und Co durch. Aber wenn man kommenden Freitag mit Gutscheinen und Weiterverschenkpräsenten unter den Armen und im Kinderwagen oder Fahrradanhänger für Vorschulkinder und überzüchtete Großstadtwölfe die leer geglaubten Lagerhallen sämtlicher Shopping-Centren gestürmt werden, vermisst man genau jene Zeit, die der/die Schenker vor dem Fest und der oder die oder das Beschenkte nach dem Fest in der Stadt oder im Netz verbringt, ist die, die am Heiligen Abend Kind und Partner gefehlt hat.
Die Zeit, die man nur Ostern und Weihnachten hat. Jenes Gut, das man mit Geld nicht bezahlen kann. Das, was neben Liebe das Beste ist, das man einem Anderen schenken kann.
Meine Tochter hat sich gewünscht, dass wir dieses Jahr im Wald zelten und Weihnachten am Lagerfeuer verbringen. Wie glücklich wäre ich, wenn das Dekadenzproblem, „was schenke ich jemandem, der alles hat, meines wäre?“ Aber vielleicht gibt es ja bei Ihnen dieses Jahr eine echte Überraschung. Ein Zelt mit Schlafsack zum Beispiel, statt neuem Notebook, Fiat 500 oder einer Reise nach Mexiko (es wird sich bestimmt dafür noch eine andere Gelegenheit finden lassen), die gleich ausprobiert werden müssen.
Vielleicht gibt das im ersten Moment keine Begeisterungsstürme, aber wer weiß, wenn man die Tatsache „X-Mas for the toughest“ erst einmal kultiviert hat, sorgt sie, wenn Papa schon friedlich im Schlafsack schnarcht für hohe Klickzahlen bei Instagram, denn im Lagerfeuerlicht sieht man keine Pickel. Und man hätte wirklich mal 'ne Story zu posten, zur Not auch mit Duckface.