Die Machtübernahme der radikalislamischen Taliban vor gut zwei Wochen hatte Afghanistan ins Chaos gestürzt. Über die von den USA koordinierte Luftbrücke konnten seit dem 14. August gut 116.000 Menschen in Sicherheit gebracht werden.
Insgesamt wurden unter Beteiligung der US-Armee seit Ende Juli mehr als 122.000 Menschen außer Landes gebracht. Mit den letzten Militärmaschinen sollten nun aber vorrangig US-Soldaten und Diplomaten ausgeflogen werden.
Am Montagmorgen wurden Raketen auf den Flughafen in Kabul abgefeuert, doch wurden die Geschosse nach Angaben der Taliban vom Raketenabwehrsystem am Flughafen zerstört. Das Weiße Haus bestätigte den Vorfall und teilte mit, die Evakuierungsmission laufe ohne Unterbrechung weiter. Bei einem US-Drohnenangriff wurde später ein Auto zerstört, von dem aus die Raketen vermutlich abgeschossen worden waren.
Bereits am Sonntag hatten die USA einen weiteren Anschlag des regionalen Ablegers der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat in Afghanistan (IS-K) auf den Flughafen von Kabul vereitelt. Nach Angaben des Pentagons wurde bei einem US-Drohnenangriff ein mit Sprengstoff beladenes Auto zerstört. Afghanischen Medien zufolge starben bei dem Drohnenangriff möglicherweise auch Zivilisten. Die USA erklärten, dies werde geprüft.
IS-K hatte sich zu dem verheerenden Selbstmordanschlag am Flughafen von Kabul am Donnerstag bekannt, bei dem mehr als hundert Menschen getötet wurden, darunter 13 US-Armeeangehörige. Als Reaktion auf das Attentat tötete die US-Armee bei einem Drohnenangriff in der ostafghanischen Provinz Nangarhar zwei Logistikexperten der Islamistenmiliz.
Mit dem bevorstehenden Ende der Luftbrücke richtet sich der Blick nun auf das Schicksal der tausenden Afghanen, die es nicht an Bord eines Evakuierungsflugs geschafft haben.
Die Bundeswehr hatte ihre Rettungsmission bereits am Donnerstag beendet, auch die anderen westlichen US-Verbündeten stellten ihre Evakuierungsflüge aus Kabul bereits ein. Allerdings befinden sich noch zahlreiche afghanische Ortskräfte mit westlichen Aufnahmezusagen sowie ausländische Staatsbürger in Afghanistan, darunter auch Deutsche.
Maas führte am Montag Gespräche in Afghanistans Nachbarländern Usbekistan und Tadschikistan, um die Möglichkeiten für weitere Ausreisen aus Afghanistan zu prüfen. Usbekistan sei bereit, seine Grenzen für Deutsche, afghanische Ortskräfte und andere Schutzbedürftige aus Afghanistan zu öffnen, sagte der Minister nach Beratungen in Taschkent.
Bei seinem Besuch in Tadschikistan sagte Maas weitere Soforthilfen in Millionenhöhe für Geflüchtete aus Afghanistan zu. Zusätzlich zu den bereits zur Verfügung gestellten 100 Millionen Euro für Hilfsorganisationen, die Geflüchtete in den Nachbarländern unterstützen, sollen weitere 500 Millionen Euro an die betroffenen Nachbarstaaten gehen, kündigte der Bundesaußenminister an.
Er bekräftigte, dass er bei der weiteren Evakuierung von Deutschen, afghanischen Ortskräfte und anderen Schutzbedürftigen aus Afghanistan vor allem auf den Luftweg setze. In erster Linie gehe es nun darum, den stark beschädigten Flughafen von Kabul wieder soweit Instand zu setzen, dass alle Ausreisewilligen mit entsprechenden Dokumenten mit Hilfe von zivilen Chartermaschinen ausgeflogen werden können, sagte er.
Bei den bisherigen Evakuierungsflügen wurden nach Angaben der Bundesregierung 138 afghanische Ortskräfte sowie 496 Familienangehörige nach Deutschland gebracht. Damit reisten 634 Menschen "mit Ortskräfte-Bezug" ein, wie ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte. Die Regierung kalkuliert inzwischen mit weitaus mehr Schutzsuchenden aus dieser Gruppe. Das Bundesinnenministerium geht davon aus, dass die Gesamtzahl der Menschen mit Bezug zu Ortskräften bei mehr als 40.000 liegt.
Die radikalislamischen Taliban hatten am 15. August wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Wie genau die künftige Führung des Landes aussehen soll, ist noch unklar.
Am Sonntag wurde bekannt, dass sich der oberste Taliban-Führer Haibatullah Achundsada in der Islamisten-Hochburg Kandahar befindet. Achundsada werde sich bald öffentlich zeigen, kündigte ein Taliban-Sprecher an.
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