Regensburg (ots) - EU-Ratspräsidentschaften stehen seit langem in dem Ruf, bestenfalls die
Bühne für Sonntagsreden und Staatenmarketing zu bieten. Und das geht
so: Für ein halbes Jahr übernimmt ein Mitgliedsland den Vorsitz im Rat
der Europäischen Union und darf in diesen sechs Monaten besonders laut
sagen, was man sich denn, nur zum Beispiel, in Irland, Slowenien oder
Portugal für eine EU wünscht. Zugleich präsentiert sich das
Präsidentschaftsland in Brüssel und macht Werbung in eigener Sache.
Durch den Vertrag von Lissabon, mit dem 2009 das Amt eines ständigen Vorsitzenden im Rat der Staats- und Regierungschefs eingeführt wurde, ist das Trauerspiel noch trauriger geworden. Der Einfluss der wechselnden nationalen Präsidentschaften, die seither vor allem die Arbeit der Ministerräte koordinieren, schwindet immer weiter dahin. #
Die
wahre Macht in der EU liegt bei der Kommission, dem Parlament und
zuallererst bei den Staats- und Regierungschefs beziehungsweise bei
ihren "Sherpas", den diplomatischen Helfern, die im Hintergrund die
Fäden ziehen.
Und dennoch: Wenn Kroatien am Neujahrstag zum ersten Mal in der
Geschichte der Europäischen Union die Ratspräsidentschaft übernimmt,
dann ist das ein bedeutsames Ereignis.
Die Menschen im Land empfinden
die Übernahme der größtenteils repräsentativen und organisatorischen
Aufgaben als Auszeichnung, ja als "Krönung unseres europäischen Weges",
wie es Premier Andrej Plenkovic formuliert und damit vielen seiner
Landsleute aus der Seele gesprochen hat.
Das wiederum strahlt aus, vor allem in die Balkanregion hinein, wo mit
Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und
Serbien aktuell sechs Staaten auf einen Beitritt zur EU hoffen.
In
Brüssel könnte man es gern ein bisschen stärker würdigen, dass es da
eine Region in Europa gibt, in der die Europäische Union überhaupt noch
Strahlkraft besitzt. Erst recht aber sollte sich der französische
Präsident Emmanuel Macron einmal etwas genauer ansehen, wie begeistert
die Kroaten ans Präsidentschaftswerk gehen. Vielleicht überdenkt er dann
ja noch einmal sein Veto gegen die Balkan-Erweiterung. Das wäre in
jeder Hinsicht wünschenswert. Man braucht nur einen Blick ins
Geschichtsbuch zu werfen.
Die Zahl der historischen Balkankriege ist
Legion, und das damit verbundene Leid ist nicht zu ermessen. Mit dem
Attentat von Sarajevo und der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an
Serbien begann der Erste Weltkrieg. Und mit den Jugoslawienkriegen der
90er-Jahre des 20. Jahrhunderts hatte das Ende der
Ost-West-Konfrontation in Europa sein blutigstes und bitterstes
Nachspiel.
Auch ein Blick auf eine aktuelle Landkarte kann nicht schaden.
Geopolitisch betrachtet ist der Balkan, diese Übergangsregion zu Afrika
und Asien, von eminent wichtiger Bedeutung für die Zukunft Europas,
zumal Russland und die Türkei bereitstehen, um die EU, sollte sie ihre
Trümpfe nicht ausspielen, in der Region auszustechen.
Macrons Veto, das
vor allem innenpolitische, im Kern populistische Motive hat, zeugt
deshalb von historischer und geopolitischer Blindheit.
Doch wer weiß? Vielleicht gelingt es den Kroaten im kommenden halben
Jahr ihrer Ratspräsidentschaft ja, Macron und einigen anderen
Erweiterungsskeptikern in Europa die Augen zu öffnen.
Wenn sie es klug
anstellen, begreift der französische Staatschef vielleicht, was es
bedeutet, dass sich ausgerechnet die Kroaten für einen EU-Beitritt
Serbiens stark machen. Und wenn irgendwann auch noch das Kosovo und
Bosnien-Herzegowina den Weg in die Europäische Union finden, dann könnte
das einen Versöhnungsweg vorzeichnen, wie ihn Deutsche und Franzosen
nach dem Zweiten Weltkrieg beschritten haben. Besser und wichtiger ginge
es kaum.
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