Die humanitäre Lage in Afghanistan ist Thema bei einer Konferenz in Genf am kommenden Montag unter der Leitung von UN-Generalsekretär António Guterres. Dessen Sprecher Stéphane Dujarric hatte bereits in der vergangenen Woche vor einer "drohenden humanitären Katastrophe" in dem Land gewarnt, das sich nach 20 Jahren Krieg nun wieder in der Hand der radikalislamischen Taliban befindet.
"Die Grundversorgung in Afghanistan bricht zusammen und Lebensmittel und andere lebensnotwendige Hilfsgüter gehen zur Neige", erklärte Ocha-Sprecher Jens Laerke. Seinen Angaben zufolge werden die rund 510 Millionen Euro unter anderem benötigt, um knapp elf Millionen Afghanen mit Lebensmitteln zu versorgen und etwa 3,4 Millionen Menschen eine grundlegende Gesundheitsversorgung zu ermöglichen.
Von den 38 Millionen Einwohnern Afghanistans sind nach UN-Angaben 18 Millionen Menschen akut von einer humanitären Katastrophe bedroht. Schon bald könnten es demnach doppelt so viele sein.
Schon vor der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban Mitte August war Afghanistan in hohem Maße von Hilfsgeldern abhängig. Rund 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes wurden aus dem Ausland finanziert. Nun haben aber viele Länder ihre Hilfsprogramme eingefroren.
US-Außenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin reisten am Montag ins Golfemirat Katar, das in Verhandlungen mit den Taliban steht. Bei einem Treffen mit Scheich Tamim bin Hamad al-Thani dankte Blinken dem Emir für die Hilfe Katars bei dem Evakuierungseinsatz in Afghanistan.Nach der Machtübernahme der Taliban waren etwa 123.000 Menschen über eine US-geführte Luftbrücke aus Afghanistan ausgeflogen worden. Über Katar lief ein großer Teil des chaotischen Evakuierungseinsatzes, bei dem nach UN-Angaben auch zahlreiche Kinder von ihren Eltern getrennt wurden. Wie das UN-Kinderhilfswerk Unicef mitteilte, wurden etwa 300 Minderjährige ohne ihre Familien ausgeflogen und nach Deutschland, Katar oder in andere Länder gebracht.
Blinken will nun mit Katar und der Türkei daran arbeiten, den Flughafen von Kabul wieder zu öffnen, um weitere Evakuierungsflüge und Hilfslieferungen zu ermöglichen. Wie Blinken am Dienstag sagte, haben die Taliban erneut zugesichert, Menschen mit Reisepapieren ausreisen zu lassen.
Der zivile Teil des Flughafens von Kabul ist stark beschädigt. Ausreisen aus Afghanistan sind derzeit deshalb nur über den Landweg möglich.
Nach Angaben der US-Regierung befinden sich noch etwas mehr als hundert US-Bürger in Afghanistan, vor allem Doppel-Staatsbürger. Ebenfalls zurückgelassen wurden zehntausende Dolmetscher und andere afghanische Helfer der US-Armee und ihre Angehörigen. Viele von ihnen fürchten nun die Rache der Taliban, die während ihre Herrschaft in den 1990er Jahren brutale Strafen wie Steinigungen und öffentliche Hinrichtungen verhängt hatte.
Trotz der Angst vieler Afghanen gab es in Kabul am Dienstag mindestens drei Protestkundgebungen. Vor der Botschaft Pakistans, das wegen seiner Nähe zu den Taliban in der Kritik steht, versammelten sich etwa 70 Menschen - überwiegend Frauen. "Afghanische Frauen wollen, dass ihr Land frei ist. Sie wollen, dass ihr Land wieder aufgebaut wird. Wir sind müde", sagte die Demonstrantin Sarah Fahim.Die Frauen hielten Protestplakate hoch und kritisierten in Sprechchören die schlechten Sicherheitslage und die mangelnden Ausreisemöglichkeiten.
mid/ju
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