Welche Chancen haben die Balkan-Länder auf einen EU-Beitritt? Wie kann eine Flüchtlingskrise in Afghanistan abgewendet werden? Über diese und andere Fragen beraten die europäischen Staats- und Regierungschefs ab Dienstagabend beim Balkan-Gipfel in Slowenien. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat als geschäftsführende Regierungschefin ihre Teilnahme angekündigt.
Slowenien gehört seit 2004 der Europäischen Union an und hat derzeit den rotierenden Vorsitz der Mitgliedsländer inne. Mit dem Balkan-Gipfel will die frühere jugoslawische Teilrepublik ein Signal an die anderen Westbalkan-Staaten senden, dass auch für sie eine Aufnahme in die EU möglich ist. Zu dem Treffen in Kranj nördlich der Hauptstadt Ljubljana werden neben Merkel die Staats- und Regierungschefs der weiteren 26 EU-Länder erwartet. Dazu stoßen die Spitzen aus Albanien, Nordmazedonien, Serbien, dem Kosovo, Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro.
Von diesen sechs Staaten sind Albanien und Nordmazedonien einem EU-Beitritt am nächsten. Die EU-Kommission hatte beiden Ländern bereits 2018 bescheinigt, die dafür nötigen Reformen umgesetzt zu haben. Frankreich und andere Länder bremsten jedoch zunächst, bis das Verfahren für künftige Beitrittskandidaten verschärft wurde.
Nun blockiert Bulgarien den Start der Verhandlungen, weil es erreichen will, dass Nordmazedonien bulgarische Wurzeln in seiner Sprache, Bevölkerung und Geschichte anerkennt. Albanien sieht sich als "Geisel" dieses Streits, wie Regierungschef Edi Rama diese Woche bei einem Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beklagte.
"Ich teile die Träume der Region", bekannte von der Leyen bei ihrer mehrtägigen Balkan-Reise. Ihre Botschaft an die Bürger sei: "Wir wollen Euch, wir brauchen Euch." Im Entwurf der Gipfel-Schlussfolgerungen, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, ist allerdings nur von einer "europäischen Perspektive" für die Balkanstaaten die Rede. Alles Weitere hänge von "glaubwürdigen Reformen" der Aspiranten ab - und von der "Kapazität" der EU zur Aufnahme neuer Mitglieder.
Die ist erschöpft, wie einige meinen. Kanzlerin Merkel hatte sich Mitte September bei einer Balkan-Reise enttäuscht über den stockenden Erweiterungsprozess geäußert. Vor der Bildung der neuen Bundesregierung und der französischen Präsidentschaftswahl im April rechnet niemand in Brüssel ernsthaft mit Bewegung.
Indes konnten von der Leyen und ihre Vermittler in Brüssel zumindest einen Konflikt kurz vor dem Gipfelbeginn entschärfen: Den Streit zwischen dem Kosovo und Serbien um die gegenseitige Anerkennung von Auto-Kennzeichen, der Befürchtungen vor einer militärischen Eskalation genährt hatte. Beide Seiten sagten am Donnerstag zu, im Grenzgebiet abzurüsten und mit Hilfe der EU an einer dauerhaften Lösung zu arbeiten. Die Bundesregierung begrüßte die "deutliche Entspannung" in dem Konflikt.
Dem Balkan-Gipfel ist am Dienstag ein informelles Abendessen der 27 EU-Staats- und Regierungschefs vorgeschaltet. Dabei soll es unter anderem um die Lage in Afghanistan nach der Machtübernahme der Taliban gehen.
Nach Brüsseler Angaben soll unter anderem diskutiert werden, mit welchen Mitteln afghanische Flüchtlinge davon abgehalten werden können, nach Europa zu kommen. Denn eine erneute Flüchtlingskrise wie 2015 will niemand. Im Gespräch sind Hilfen für Nachbarländer wie Usbekistan und Tadschikistan zur Aufnahme der Menschen. Am Rande des EU-Gipfels könnten auch das Verhältnis zu China sowie Handelsfragen zur Sprache kommen.
Kanzlerin Merkel reist nach dem Gipfel in das benachbarte Italien weiter. In Rom erwartet sie am Donnerstag Papst Franziskus zu einer Privataudienz.
lob/mid
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