Seit Tagen wächst der Druck auf Kurz, nachdem am Mittwoch bekannt geworden war, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn und einige seiner engsten Vertrauten wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Untreue ermittelt. Das Team soll den Aufstieg von Kurz an die Spitze von ÖVP und Regierung seit 2016 durch geschönte Umfragen und positive Medienberichte abgesichert haben. Im Gegenzug soll die Zeitung "Österreich" lukrative Aufträge für Anzeigen vom Finanzministerium bekommen haben. Dafür sollen auch Steuermittel geflossen sein.
Kurz wies die Vorwürfe am Freitagabend als "schlicht und ergreifend falsch" zurück. Seine Partei werde es "selbstverständlich akzeptieren, wenn es andere Mehrheiten im Parlament" gebe. Doch sei er weiterhin handlungsfähig und willig, die Regierung zu führen.
Vizekanzler und Grünen-Chef Kogler rief dagegen Kurz' Partei auf, einen anderen Bundeskanzler zu nominieren. Es gehe nicht nur um die strafrechtlichen Vorwürfe, sondern auch um ein "schauerliches Sittenbild" im Machtzentrum der ÖVP, zitierte ihn APA. Die ÖVP müsse nun jemanden vorschlagen, "der untadelig ist".
Zuvor hatte bereits Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Handlungsfähigkeit der Regierung in Zweifel gezogen. Auch er sprach von einem "Sittenbild, das der Demokratie nicht gut tut".
Am Dienstag kommt das Parlament in Wien zu einer Sondersitzung zusammen, in der die Opposition einen Misstrauensantrag gegen Kurz einbringen will. Kogler soll nach Informationen der APA in Gesprächen mit den Oppositionschefs keinen Zweifel daran gelassen haben, dass die Grünen dem Antrag zustimmen werden, sollte Kurz nicht vorher zurücktreten.
Am Samstag liefen parteiintern und unter den Fraktionen Gespräche über die künftige Führung des Landes, öffentliche Auftritte gab es dazu aber nicht. Dabei schlossen die Grünen nach Informationen der österreichischen Nachrichtenagentur APA auch eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen FPÖ nicht mehr aus.
Auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner schloss zuletzt ein Viererbündnis mit den Grünen, Neos und der FPÖ nicht mehr aus. Im ORF bezeichnete sie ein solches Bündnis als "unwahrscheinlich, aber möglich." "Außergewöhnliche Situationen" brauchten "außergewöhnliche Handlungen." Am Nachmittag traf Rendi-Wagner laut APA FPÖ-Chef Herbert Kickl zum Gespräch, ohne dass Details dazu bekanntgeben wurden.
Unterdessen beginnt die Unterstützung der ÖVP für Kanzler Kurz zu bröckeln, wie APA berichtete. Als erste ging die Tiroler Bildungs- und Kulturlandesrätin Beate Palfrader öffentlich auf Distanz zu Kurz: Statt sich bedingungslos hinter Kurz zu stellen, "erschiene es mir wichtiger, besser und korrekter, volle Aufklärung zu fordern", sagte Palfrader in der "Presse".
Als mögliches Szenario schlug sie vor, "dass sich jene, die mit Vorwürfen konfrontiert sind, zurückziehen, bis eine vollständige Aufklärung passiert ist" - "und wenn ich das richtig gelesen habe, zählt auch der Bundeskanzler dazu."
ans/ck
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