Nachdem in der vergangenen Woche das polnische Verfassungsgericht den Anwendungsvorrang des nationalen Verfassungsrechts vor Europarecht erklärt hat, werden in zahlreichen Medien die Entscheidung und mögliche Konsequenzen analysiert. So sehen liberale polnische Politiker laut der Sa-FAZ (Reinhard Veser/Thomas Gutschker) das Urteil als ersten Schritt zu einem "Polexit". Das Hbl (Moritz Koch) zitiert die EU-Kommission, die ankündigt, nicht zögern zu wollen, "von ihren Befugnissen gemäß den Verträgen Gebrauch zu machen, um die einheitliche Anwendung und Integrität des Unionsrechts zu gewährleisten". Was genau die EU-Kommission unternehmen will, bleibe jedoch noch offen. Das Europäische Parlament fordert, dass nun endlich der im Januar in Kraft getretene finanzielle Sanktions-Mechanismus eingesetzt wird, der das Aussetzen von Fördergeldern für Polen ermöglichen würde. Um das zu erzwingen, soll die bereits angedrohte Untätigkeitsklage gegen die Kommission vorangetrieben werden, berichtet spiegel.de (Markus Becker).
Rechtsprofessor Matthias Thiele erläutert im Verfassungsblog, warum diejenigen, die das Urteil mit der EZB-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gleichsetzen, falsch liegen. Wie auch immer man zu dem Urteil des BVerfG stehe: Es sei jedenfalls nicht gegen die institutionelle Ordnung der EU gerichtet, wolle diese vielmehr in ihrer gewaltenteilenden Ausprägung gestärkt wissen.
Nachgeben dürfe die EU gegenüber Polen nicht, denn nur als Rechtsgemeinschaft habe sie eine Zukunft, kommentiert Nikolas Busse (Sa-FAZ). Wenn in Polen der Rechtsstaat verfällt, dann gefährde das eine der wichtigsten Grundlagen für das gemeinsame Leben im Binnenmarkt und im Rechtsraum der EU: die Gewähr, dass EU-Bürger:innen (und Unternehmen) überall die gleichen Rechte haben und darauf vertrauen können, dass sie von den örtlichen Gerichten geschützt werden.
LTO