"Wir sind Zeugen einer künstlichen Krise, die ein eindeutiges Ziel hat: Europa dazu zwingen, seine Werte aufzugeben", erklärte Selenskyj. Es bestehe eine "wahre Gas-Aggression gegenüber der Europäischen Union". Eine Rückkehr zu moderateren Energiepreisen werde es nur geben, wenn europäische Regierungen "koordiniert" auf "Erpressungs"-Manöver reagierten.
Auch sein Land könne dabei eine wichtige Rolle spielen. "Die Ukraine hat den europäischen Partnern etwas anzubieten", betonte Selenskyj. "Die existierenden Gaspumpkapazitäten durch die Ukraine reichen nicht nur aus, um die Lage zu normalisieren, sondern auch, um Europa in den kommenden Jahren vor derartigen Preisschocks zu schützen." Die Ukraine biete überdies "sehr günstige" unterirdische Lagermöglichkeiten sowie Rabatte beim Transit. Insgesamt könne sein Land den Transit von 19 Milliarden Kubikmetern Gas bis Ende des Jahres garantieren.
Vor Selenskyj hatten auch Vertreter westlicher Staaten Russland beschuldigt, absichtlich seine Gaslieferungen zu drosseln. Demnach will Russland damit den Abschluss von mehr langfristigen Gaslieferverträgen erzwingen und das Projekt Nord Stream 2 beschleunigen. Die Gaspipeline durchläuft derzeit noch das Zertifizierungsverfahren bei der Bundesnetzagentur, erst dann kann sie kommerziell ihren Betrieb aufnehmen.
Selenskyj hatte Nord Stream 2 in diesem Jahr als "gefährliche geopolitische Waffe" bezeichnet, die Europa in die Abhängigkeit Russlands treibe. In seiner Stellungnahme vom Freitag verwies Selenskyj auf frühere Fälle, in denen Russland Gaslieferungen an die Ukraine ausgesetzt hatte. Moskau habe "wiederholt versucht, die Ukraine zu blockieren, Gaslieferungen abzustellen und Zugeständnisse zu verlangen, die den nationalen Interessen der Ukraine schaden", erklärte der Staatschef. "Nun ist es an Europa, sich mit dem Konzept des Gaskriegs vertraut zu machen."
Russlands Präsident Wladimir Putin hatte in der vergangenen Woche "systematische Schwächen" im europäischen Energiemarkt als angebliche Ursache für die Energiekrise benannt. "Wenn sie uns fragen, ob wir unsere Lieferungen erhöhen, sind wir bereit das zu tun", sagte Putin mit Blick auf die wirtschaftlichen Partner Russlands. Die Europäer hätten es in den vergangenen Jahren versäumt, langfristige Verträge mit Russland zu schließen.
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