Er habe das Außenministerium angewiesen, die Diplomaten "so schnell wie möglich" zur "persona non grata" - also zu unerwünschten Personen - zu erklären, sagte Erdogan am Samstag. Auf die Einstufung als "persona non grata" folgt in der Regel die Ausweisung.
Erdogan warf den zehn Botschaftern "Unanständigkeit" vor. "Sie müssen die Türkei kennenlernen und lernen, sie zu verstehen", sagte der türkische Präsident. "Sie müssen hier verschwinden, wenn sie die Türkei nicht verstehen." Eine Frist nannte er nicht.
Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, die Aussagen seien zur Kenntnis genommen worden und würden "intensiv mit den anderen betroffenen Ländern" beraten. Ähnlich äußerte sich das US-Außenministerium. Das State Department bemühe sich darum, weitere Auskünfte vom türkischen Außenministerium zu erhalten, sagte ein Ministeriumssprecher in Washington.
Die Botschafter aus Deutschland, Frankreich, den USA und sieben weiteren Ländern hatten Anfang der Woche in einem gemeinsamen Appell zur Freilassung des seit vier Jahren ohne Verurteilung im Gefängnis einsitzenden Kulturförderers Kavala aufgerufen. Ankara bezeichnete den für diplomatische Gepflogenheiten ungewöhnlichen Aufruf als "inakzeptabel" und lud die Botschafter vor.
Neben dem Auswärtigen Amt reagierten am Samstagabend mehrere europäische Länder auf Erdogans diplomatische Eskalation. Schweden, Norwegen und die Niederlande - deren Botschafter das Dokument ebenfalls unterzeichnet hatten - erklärten, keine offizielle Mitteilung von der Türkei erhalten zu haben. "Unser Botschafter hat nichts getan, was die Ausweisung rechtfertigen würde", sagte eine Sprecherin des norwegischen Außenministeriums.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warf Erdogan eine "unglaubliche außenpolitische Eskalation" vor. "Erdogan führt die Türkei damit weiter vom Westen weg. Der Protest der Botschafter gegen die Inhaftierung einer Person ohne Gerichtsverfahren ist gerechtfertigt und geboten", schrieb er auf Twitter.
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir rief die betroffenen Staaten zu einer gemeinsamen Antwort auf Erdogans "Provokation" auf. Die Botschaft müsse lauten: "Wir halten dem Druck Stand. Demokratie und Menschenrechte sind für uns nicht verhandelbar."
Der Menschenrechtsaktivist Kavala war ursprünglich wegen des Vorwurfs festgenommen worden, die regierungskritischen Gezi-Proteste in Istanbul im Jahr 2013 finanziert und organisiert zu haben. Im Februar vergangenen Jahres sprach ein Gericht ihn von diesem Vorwurf frei.
Kavala wurde daraufhin nach zweieinhalb Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen, jedoch wenige Stunden später erneut festgenommen - diesmal im Zusammenhang mit dem Putschversuch gegen Erdogan im Jahr 2016 und Spionagevorwürfen.
Im Januar dieses Jahres hob ein Berufungsgericht den ersten Freispruch auf. Bei einer Verurteilung wegen der Spionagevorwürfe droht Kavala lebenslange Haft. Kavalas nächste Gerichtsverhandlung ist für den 26. November angesetzt.
Kavala hatte Erdogan zuletzt vorgeworfen, seine Inhaftierung politisch zu nutzen. "Der wahre Grund für meine fortgesetzte Inhaftierung" sei das "Bedürfnis der Regierung, die Fiktion am Leben zu erhalten, dass die Gezi-Proteste das Ergebnis einer ausländischen Verschwörung waren", erklärte Kavala in einem schriftlich mit der Nachrichtenagentur AFP geführten Interview.
Der Europarat, dessen Mitglied die Türkei ist, hatte vergangenen Monat gewarnt, Schritte gegen Ankara einzuleiten, sollte Kavala nicht vor dem nächsten Treffen der Organisation am 30. November freikommen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte im Dezember 2019 seine Freilassung angeordnet und dies seither wiederholt angemahnt.
Der in Paris geborene Kavala betreibt einen der größten Verlage der Türkei und setzt sich mit seiner Organisation Anadolu Kültür für den Dialog der Volksgruppen etwa im Kurden-Konflikt oder mit den Armeniern ein. Er gehörte zudem zu den Gründern des türkischen Zweigs der Open Society Foundation des US-Philanthropen George Soros, dem Feindbild vieler Populisten. Die Stiftung fördert demokratische Bewegungen in zahlreichen osteuropäischen Ländern.
bfi
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