Seit Monaten liegt mir der Nachwuchs mit den Geistern, die ich in ihrer frühesten Kindheit gezeugt habe in den Ohren, doch endlich mal wieder eine „Münstermannchallange“ zu machen. Hinter eben genanntem Wortungetüm befindet sich die regelmäßige Freizeitbeschäftigung von Zoé und mir. Mal zelten wir unter freiem Himmel auf der Mecklenburger Seenplatte, dann klettern wir mit Seil und Ösen in die Baumwipfel des brandenburgischen Waldes, und wenn es nicht zum Verreisen reicht, probierten wir auch schon Pappmasche im Regen oder „wer hält die Zunge länger am dreckigen Reifen des Fahrrades. Nun also den Jakobsweg nach Heek.
Gesägt getan getätet. Samstag um acht setzten Tochter und Vater dick eingepackt und mit Bananen, Brötchen, Saft und Wasser versorgt, die ersten Fußstapfen in winterliche Morgenfrische. Der Atem war neblig, die Motivation hoch und ich mit Laberwasser gesegnet.
Was anfangs wohl sehr anstrengend gewesen sein musste, kompensierte sich mit der Fehlleitung meines beinahe erwachsenen „nativ-digitals“ trotz „Google Maps“. Aber meine analogen Instinkte als „rolling stone“ ließen mich glücklicherweise nicht im Stich.. Aber wir mussten uns abends vorher nicht erst schwören, dass wir uns wegen Kleinkriegen nicht gegenseitig wahnsinnig machen. Warum auch, wir kennen uns ja schon etwas länger.
Gegen zehn erreichten wir dann die Grenze Münsters über Gievenbeck. Wir gehen nicht weiter darauf ein als, dass es Zeit für die erste Rast wurde und die Feststellung „ich kann noch“ bei beiden unübersehbar war. Idealerweise schien auch die Sonne, weshalb wir, übermütig wie wir waren und sind, einen Umweg durch die Wälder Westfalens machten, das erste Schulklassengebäude des Münsterlandes aus dem Jahr 1471 entdecken durften und uns an weiteren Kleinigkeiten wie unendlichen Weiten und fröhlich umher streunendem Getier erfreuen konnten.
Als die Sonne ihren Zenit erreichte, schlenderten wir gerade durch Altenberge, nicht weit entfernt an Freundinnen vorbei, denen wir besser nicht begegnen sollten und anderen, doch eigentlich ganz freundlich gesonnenen Dorfbewohnern, die sich kaum wunderten über das mittlerweile ein wenig an Vater und Tochter aus dem Film „Curly Sue – ein Lockenkopf sorgt für Wirbel“ erinnerten.
Dieser Eindruck hatte schon kurz darauf Zeit sich zu manifestieren, denn die Feuchtigkeitskonzentration der Luft wurde zunehmend intensiver und die Reflexion der Glieder auf fünf Stunden Fussmarsch stellte sich auch langsam ein. Wir nannten diesen Moment. „es ist nicht mehr nur schön“, aber wir schauten uns an und dachten, noch 30 Kilometer, die schaffen wir jetzt auch noch. Und wir folgten unserem von nicht wenigen als absurd deklarierten Ziel, Oma Moni in Heek zu besuchen, aber bitte nicht zu lange, also am besten zu Fuß. Das hatte unter anderem den wesentlichen Vorteil, dass man sich unseres geschändeten Körpers und Geistes bewusst war und uns nur noch umsorgen wollte. Perfekt. Aber leider noch 30 Kilometer entfernt.
Mit einer Regenwahrscheinlichkeit von 70 Prozent gesegnet,
sogen sich die Klamotten langsam voll und die beiden Tippelgeschwister motivierten
sich mit a Capella vorgetragenen Lieblingssongs. Entweder war der Song gut oder
der Gesang schlecht, meist war das Mittel perfekt und endete in gemeinsamem
Grölen auf menschenleerer weiter Flur. Das war wirklich ein ganz besonderer
Moment, auch wenn die Gesamtsituation an feuchte Wüstenszenen in „Paris-Texas“
oder Slo-Mos (slow-motions) aus dem eh schon gediegenen Tempos von „broken
flowers“ erinnerte.
Wir haben viel übereinander erfahren. Weniger direkte Details als persönliche Befindlichkeiten. Wie reagiert der jeweils andere, wenn er motiviert oder gereizt ist. Wie kann man den anderen motivieren, trösten und stärken. Ich werde nie vergessen, wie fürsorglich Zoè hinter der Kirche auf dem Schöppinger Berg zu mir meinte: Papa, ich nehm den Rucksack, ist nicht mehr weit“`Obwohl sie selbst keinen Zentimeter mehr gehen konnte. Nachher verriet sie mir, der Besuch der Kapelle aus dem 30-jährigen Krieg mit seinem Gedankenbuch für Besucher, wäre eine geistig unglaublich bereichernde Erfahrung gewesen, aber das Laufen fiel selten so schwer, wie nach dieser Pause.
Als die Nacht hereinbrach, also etwa gegen fünf, erreichten wir Schöppingen. Mit dem Auto sind das gerade gut 30 Kilometer, zu Fuß, das wussten wir jetzt: Alles andere als ein Spaziergang.
Auf den letzten Kilometern, die das abstruse Gefühl von durchaus noch Kraft, aber null Beweglichkeit miteinander zu verbinden versuchte, sinnierten wir über den heißen Kakao in Laer, wie klein kann doch ein Wunder sein- lauwarme braune Wasserplörre aus der Tanke – Bängelräng!
„Ich kann nicht mehr! - Dann quäl dich du Sau!“ Komisch, bei Zoé reicht ein Blick und mir hilft noch nicht einmal, wenn ich es in die Leere schreie.
So fühlt es sich wohl an, alt zu sein, stellte mein ganzer Stolz beim Aufstehen von Omas Couch fest und während ich wusste, was sie meinte, fügte meine Mutter hinzu: Na so schlimm ist ja nu auch noch nicht.
Lieber Engel, ich liebe dich für diese großartige Idee, aber für Berlin nehmen wir uns bitte ne Woche in den Sommerferien!
Dein Papa
Foto: Ulf Münstermann